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Wahlkampf bis der Regen kommt

06.09.2009 16:27, Lu Yen Roloff
Wahlkampf Wiesbaden

Foto: Lu Yen Roloff

WIESBADEN. Fünf Parteien, 99 Luftballons und zwischen acht und zehn gute Gründe für Wähler, die ein oder andere Partei zu wählen. In Wiesbaden ging die Wahlfahrt09 zum ersten Mal auf Tuchfühlung mit dem Wahlkampf.

„Papa, kann ich noch einen gelben Ballon?“ fragt die fünfjährige Lea ihren Vater. Gelb würde gut passen zu den vier grünen Ballons, die sie in der Hand hält. Doch Papa macht Wahlkampf am Stand der Grünen und sagt: „Nein, gelbe Ballons brauchen wir nicht.“ – „Warum nicht?“ – „Weil wir lieber grüne Ballons haben“. Für Lea kein Argument. Papa schiebt hinterher: „Wir wollen keine Werbung für die machen, weil die für Atomkraftwerke sind.“

Die, das sind die Kollegen von der FDP, die sich gemäß ihres politischen Profils genau am anderen Ende der Wahlstandreihe in der Wiesbadener Fussgängerzone aufgebaut haben. Zum Wahlsamstag haben sich alle fünf Parteien auf 100 Metern versammelt. Das ist Demokratie zum Anfassen und vor allem: Mitnehmen. Ich stecke mir einen grünen Gummi-Apfelring in den Mund. Im Angebot sonst noch Waldmeisterbrause und der Test: Wie grün bist du? Vor allem die Kinder scheinen von der Partei überzeugt. Eine kleine Broschüre fasst die „Zehn Gründe, grün zu wählen“ zusammen. Also neue Arbeitsplätze, grüne Energiepolitik, Mindestlöhne, gerechte Globalisierung, Atomausstieg, Angleichung des Lohnniveaus von Frauen an das von Männern, Bildung, Freiheit im Internet, keine Gentechnik und Abschaffung der Wehrpflicht.

Dass die Fronten zwischen den Grünen und der SPD verschwimmen, zeigt der Wahlkämpfer am benachbarten SPD-Stand. Irritierenderweise trägt er ein grünes T-Shirt. Vielleicht eine Rot-Grün-Blindheit? Soll ja bei jedem achten Mann vorkommen. Auch nur acht gute Gründe hat die SPD für ihre Wähler definiert. Oder wie es zukunftsgewandt heißt: „Ziele, für die wir kämpfen“. Die Grünen haben aber zehn gute Gründe, sage ich und halte das kleine Merkheftchen auf Umweltpapier hoch. Es komme doch nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität der Gründe an, protestiert der grüne SPDler. Also auf Mindestlöhne, kostenfreie Bildung, Klimaschutz, Unterstützung für Familien, Angleichung des Lohnniveaus für Frauen; dazu Integration, weniger Heuschrecken-Kapitalismus und Frank Walter Steinmeier. Dann gibt er zu: „Am Ende dominieren bei allen Parteien die gleichen Themen: Soziale Gerechtigkeit, Familien, Bildung.“ Warum? „Weil das die Menschen bewegt.“ Ich stecke gerade einen roten Kugelschreiber ein, als es zu einem kleinen Medienauflauf kommt. Die Wiesbadener Direktkandidatin Heidemarie Wieszorek-Zeul kommt mit roten Haaren und rotem Mantel persönlich zum Rote-Rosen-Verteilen vorbei. Die SPDler sind aufgeregt. So sieht also „Anpacken für unser Land“ aus.

Rosen verteilt auch das TeAM Deutschland von der CDU am nächsten Stand, allerdings rosafarbene. Sie liegen in einem Bastkorb, der mit Herbstblättern dekoriert ist. Die Wahlkämpferin und CDU-Stadträtin in der fliederfarbenen Kostümjacke kennt ihre Wiesbadener. Sie plaudert jovial mit den Passanten, ruft ein „Tschüssi!“ hier, ein „Bis zum Sauna-Essen!“ da. Schnell noch einen Blick in die zehn guten Gründe der CDU geworfen: Ach ja, Bildung, Integration, Familien, Angleichung des Lohnniveaus für Frauen, dazu noch etwas Sicherheit, auch in der Energiefrage. Und ein Punkt für die Zielgruppe Landwirte. Dann wird der Stand auch schon abgebaut. Ein Auftritt beim Stadtfest „Wiesbaden singt“ wartet, die CDU-Stadträtin wird dann mit dem Wiesbadener Magistratschor auf der Rathaustreppe zu hören sein. Und freut sich auf das Highlight: „Yellow Submarine“ von den Beatles.

Apropos gelb: Die FDP. An deren Stand lungert bereits ein gepiercter Heavy-Metal-Fan mit langen Haaren herum. Ob er einen der gelb-blauen Schwämme haben könne? Aber gerne. Beim letzten Wahlkampf, so berichtet der FDP-Wahlkämpfer in braunem Samtjackett, habe man statt einer blauen Schwammunterseite noch eine schwarze gehabt. Slogan damals: „Der größtmögliche Kontrast zu schwarz“. Diesmal geht es nicht ums Reinemachen durch Opposition, sondern um die mittels Schwamm transportierte Koalitionswilligkeit der FDP. Was ich mitbringen müsse, um die Partei gut zu finden, frage ich: „Sie müssen ein freiheitsliebender Mensch sein, der an die Eigeninitiative der Menschen glaubt und nicht fragt, was kann der Staat für mich machen“, antwortet der Wahlkämpfer, der normalerweise im hessischen Wirtschaftsministerium arbeitet. Weniger Arbeitsschutzmaßnahmen führen zu mehr Brutto vom Netto, dazu fordert die Partei eine günstigere Steuerpolitik für den Mittelstand und dass die Hartz-4-Sätze nach einem Jahr gesenkt werden sollen. So unsozial? Flugs spricht der Herr von den Finanzmärkten, die man besser kontrollieren müsse.

Na sowas, das wollen neben FDP, CDU, SPD und Grünen auch die Linken, die als einzige Partei kein Pavillonzelt, sondern nur einen Schirm haben. Das muss wohl der „Schutzschirm für Menschen“ sein, den die Parteizeitung „Klar“ fordert. Bevor ich dazu komme, die Giveaways einzusacken, setzt plötzlich ein heftiger Regenschauer ein. Der Regen treibt die Schnäppchenjäger und Luftballon-sammelnden Familien unter das Vordach von Karstadt.

Abrupt hat der Wahlkampf ein Ende. Die Linke klappt ihren Schutzschirm zusammen und verschwindet hastig. Auch die anderen Parteien sind weg. Nur die FDP hält wacker dem Wetter stand. Für einen Moment bin ich versucht, diese Standfestigkeit auf ihr politisches Profil zu schieben, schließlich heißt es dort ganz aktivierend in den zehn Gründen für den Parteieintritt: Ich bin dabei. Doch dann greifen sich vier FDPler das knallgelbe Zelt und wandern damit in die Nebengasse.

Zurück bleibt die leere Fußgängerzone von Wiesbaden. Das nennt man dann wohl Schönwetterpolitik.

 

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