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Jamaika lässt die Grünen blass aussehen

07.09.2009 16:34, Lu Yen Roloff, Ute Zauft

Erschienen am 17. September auf Spiegel Online

WIESBADEN. Darf’s ein bisschen exotischer sein? Das Saarland könnte bald die erste Jamaika-Koalition auf Landesebene bekommen. Im Wiesbadener Rathaus regiert Schwarz-Gelb-Grün bereits seit 2006. Zu kämpfen haben damit vor allem die Grünen.

Zwischen grünen Luftballons und Kisten mit Waldmeisterbrausetüten macht der Junggrüne Daniel Herwig in der Wiesbadener Fußgängerzone Wahlkampf – und gerät dabei zwischen die Fronten. „Was sagst Du den zur EBS?“ wirft ihm ein grauhaariger Mann mit Rucksack entgegen.

Plötzlich muss Herwig seine Partei gegenüber seinem ehemaligen Sportlehrer verteidigen. Im Stadtparlament haben die Grünen mit ihren Jamaikapartnern dafür gestimmt, ein ehemaliges Gerichtsgebäude mit zehn Millionen Euro zu sanieren, damit dort die European Business School, kurz EBS, einziehen kann. Die EBS macht Wiesbaden zur Universitätsstadt, ist aber auch eine Privatuniversität mit Studiengebühren von 13000 Euro pro Jahr. „Es ist nicht Aufgabe staatlicher Bildungspolitik, versnobbte Manager auszubilden“, empört sich der Lehrer. Er ist selbst seit 1993 bei den Grünen, nun aber enttäuscht über die grüne Fraktion im Stadtparlament, die seiner Meinung nach keine grüne Politik macht. Und überhaupt, gegen das geplante Kohlekraftwerk habe sie sich auch nicht stark genug positioniert.

Wiesbaden ist eine von sechs Kommunen, die den Versuch einer Jamaika-Koalition gewagt haben. Taugt das Beispiel Jamaika für Land oder Bund? Bislang hat es die Zusammenarbeit von CDU, Grünen und FDP noch nie über die kommunale Ebene hinausgeschafft.

Meist sind es die Grünen, die eine Koalition mit ihrem größten politischen Gegner, der FDP, ausschließen. In Frankfurt am Main zerbrach eine bereits ausgehandelte Koalition im Jahr 2001 nach nur einem Tag. Auch im hessischen Wiesbaden startete Schwarz-Gelb-Grün nur deswegen, weil sich SPD und CDU als ursprüngliche Koalitionsaspiranten während der Verhandlungen entzweit hatten. Hier hat die CDU mit 29 Mandaten eine klare Machtposition gegenüber ihren Koalitionspartnern: Die Grünen besitzen zehn Mandate, die FDP sieben.

Massenaustritt bei den Jungen Grünen

Die Ansiedlung der European Business School in Wiesbaden gilt als Prestigeprojekt des Oberbürgermeisters Helmut Müller. Der CDU-Mann ist zwar von den Wiesbadenern direkt gewählt, doch weiß er mit der CDU-geführten Koalition im Stadtparlament eine starke Mehrheit hinter sich. Die Koalition laufe prima, sagt er. „Alle wollen, dass sich die Hochschule in Wiesbaden ansiedelt, damit wir ein Wissenschaftsstandort werden.“

Viele Grüne an der Basis sehen das anders: Nachdem die Fraktion trotz Mitgliederentscheid für die Sanierung des EBS-Gebäudes mit städtischem Geld gestimmt hatte, trat mehr als die Hälfte der Wiesbadener jungen Grünen aus der Jugendorganisation der Partei aus. Ihr Vorwurf: Statt öffentliche Schulen zu sanieren, stütze man teure Privatunis. Auch der Junggrüne Herwig sagt, die grüne Fraktion vertrete ihre Positionen innerhalb der Koalition bisweilen nicht selbstbewusst genug – aus Angst vor einem Koalitionsbruch.

Die Wiesbadener haben ihre eigenen Meinungen zu der Koalitionsdisziplin der Grünen. Zwischen den Wahlkampfständen steht Rentner Herbert Müller – und spricht aus, was viele über die Grünen denken: „Die Grünen haben sich entlarvt: Wenn es um die Macht geht, dann wird verkleistert.“ Jamaika sei ein reines Zweckbündnis von Individuen, die sich gut bezahlte Posten sichern wollten. Für den ehemaligen Verwaltungsangestellten Müller ist die Sache klar: „Dabei kommt etwas raus, was nicht Fisch und nicht Fleisch ist – was die Grünen unter Jamaika machen, kann niemals grüne Politik sein.“

Streit ums Kohlekraftwerk

Noch deutlicher werden die Schwierigkeiten von Jamaika, wenn es um das geplantes Kohlekraftwerk geht. Das Kraftwerk, das der lokale Energieerzeuger bauen will, widerspricht der grünen Forderung nach einer nachhaltigen Energiepolitik. Im Koalitionsvertrag steht allerdings nur, dass die Koalition den Bau des Kraftwerks „kritisch“ sehe. An diesem Punkt sagt selbst der sonst loyale Junggrüne Herwig: „Das klingt für mich wie ausgeklammert.“ Tatsächlich rächte sich die vage Formulierung, als der Bau 2007 akut wurde: Die Bürger gingen auf die Straße, in der Stadt gründete sich ein Bündnis gegen das Kraftwerk, und die grüne Parteibasis forderte die Fraktion zum Handeln auf: Unter Führung der Fraktion solle das Stadtparlament den Vorstand des Energieerzeugers zum Baustopp auffordern. Trotz Veto von FDP und CDU brachten die Grünen den Antrag ein und gewannen dafür eine Mehrheit außerhalb der Koalition. Jamaika drohte zu zerbrechen.

In der Konfrontation mit Jamaika kann die SPD mit einer starken Oppositionspolitik punkten. Im Gegensatz zu den Grünen konnten sie sowohl gegen das Kohlekraftwerk als auch gegen die Sanierung des Gerichtsgebäudes für die Privatuni klar Position ergreifen. „Die SPD hat nichts dagegen, wenn Grüne und FDP sich streiten“, sagt Christoph Manjura. Er ist jugendpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Rathaus. Am Wahlkampfstand verteilt er wie seine Genossen Kugelschreiber und Flyer an vorbeischlendernde Passanten. Die SPD freut sich über den Zwist in der Koalition, hört man auch von anderen am Stand: Ließe sich doch jeder Kompromiss in der Koalition sowohl gegen die Einen wie die Anderen verwenden.

Atmosphärische Störungen

Beim CDU-Stand will man vom Stunk mit der grünen Fraktion dagegen zunächst nichts wissen. Karsten Koch, Sprecher für Planung, Bau und Verkehr, lobt sogar den Verkehrssprecher der Grünen als „verlässlichen Mann“: „Es läuft inhaltlich gut, wir können ordentlich was vorweisen“, sagt er. Man habe „überraschende Gemeinsamkeiten“ festgestellt, die auch auf Bundesebene bestünden: Etwa den Schutz des ungeborenen Lebens und die Bewahrung der Schöpfung vor Gentechnik. Da lägen christlicher Hintergrund und grüne Ansichten nah beieinander. Gut, es gebe gewisse „atmosphärische Störungen“ bei den Grünen, fügt er dann hinzu. „Man bekommt mit, dass Jamaika für die Fraktion eine große Zerreißprobe ist. Wir hoffen, dass die Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode hält.“

Im Streit um den Grünen-Antrag zum Kohlkraftwerk konnte die Koalition gerade noch dadurch gerettet werden, dass der Bürgermeister den außerkoalitionären Beschluss als rechtswidrig ablehnte: Das Parlament könne nicht in die geschäftlichen Entscheidungen des Energieerzeugers eingreifen. Aufgrund der Wirtschaftskrise hat der Energieerzeuger inzwischen Schwierigkeiten, den Bau des Kohlekraftwerks zu finanzieren. Ob das Kohlekraftwerk kommt, ist derzeit offen, doch der Konflikt bleibt ungelöst.

 

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