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Aufschwung im Abschwung – Camping am Bodensee

27.08.2009 12:15, Ulrike Steinbach

Campen am Bodensee from Milos Djuric on Vimeo.

KONSTANZ. Seit die Deutschen kein Geld mehr für Fernreisen haben, floriert die deutsche Campingwirtschaft. Denn zelten ist billiger und ökologischer. So lernen wir auf einem kleinen Campingplatz am Bodensee, dass man der Krise auch eine gute Seite abgewinnen kann.

Eine Frau telefoniert unüberhörbar, ein junges Paar diskutiert über den Verbleib der Ausweise, zwei Kinder versuchen, über den Rezeptionstresen zu klettern. Doch Klaus Engelmann lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Er ist der Typ netter Onkel. Alle, die hier in der Schlange stehen, muss er heute abweisen: “Wir sind leider ausgebucht, aber ich kann Ihnen einen Campingplatz in der Schweiz empfehlen, ganz in der Nähe, gleich hinter der Grenze”, sagt er und lächelt.

Der Betreiber des Campingplatzes Klausenhorn bei Konstanz am Bodensee ist seit 20 Jahren in der Branche. So voll wie in diesem Sommer war es hier lange nicht: “Wir könnten den Platz doppelt bis dreifach belegen.” Er rechnet mit 60.000 Gästen in dieser Saison – ein Zuwachs von 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Woran das liegt? Die Wirtschaftskrise. “Die Leute haben kein Geld mehr für Auslandsreisen, Camping in Deutschland ist einfach billiger”, vermutet Engelmann.

Die Deutschen machen Urlaub im Land

Auf den anderen Plätzen rund um den Bodensee sieht es ähnlich aus. “Auch die Hotels sind sehr zufrieden”, sagt Norbert  Henneberger vom Tourismusverband Konstanz. “Die Prognose hat sich bestätigt: Die Deutschen machen seit der Wirtschaftskrise eher Urlaub im Land.” Der Trend ist ein bundesweiter. Im ersten Halbjahr zählten die deutschen Campingplätze acht Millionen Ãœbernachtungen, ein Plus von 12,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Und die Deutschen campen anders, hat Klaus Engelmann festgestellt: “Vor zehn Jahren sind die Urlauber im Schnitt acht Nächte geblieben, jetzt nur noch viereinhalb.” Viele fragen nach, ob es einen Internetanschluss gibt. Die Leute säßen vor ihren Zelten am Rechner und checkten E-Mails, erzählt Engelmann. “Sie können nicht mehr so lange wegbleiben vom Job.” Und die meisten gingen seltener essen. Statt dessen suchten sie im Discounter gezielt nach Angeboten. Engelmann zeigt auf Regale neben der Rezeption, auf denen Werbeprospekte diverser Supermärkte ausliegen. Urlauber haben sie von ihren Einkäufen mitgebracht.

Dauercampen wird Luxus

Elli und Juray Semper, Dauercamper aus Holzgerlingen, sitzen vor ihrem Wohnwagen in der Sonne. Ein kleines Blumenbeet ziert ihren Essplatz. Im Fenster hängt eine Plüschblume, das Vorzelt ist mit einer Lichterkette geschmückt. Seit 20 Jahren kommen die Sempers nach Klausenhorn. Lange wird das nicht mehr gehen, befürchten sie. 1800 Euro kostet der Platz im Jahr, drei Mal so viel wie noch vor elf Jahren. Bei 1200 Euro Rente ein Luxus.

“Ich geh nicht mehr wählen, ich hab kein Vertrauen in die Politik”, sagt Juray Semper resigniert. “Die schwätzet alle so schee”, fügt seine Frau hinzu. Sich einbringen in die Gesellschaft, auch das kostet Geld. Vereinsbeiträge zum Beispiel. Aber sie wollen das tun, was sie können, im kleinen Rahmen. Wenn sie Pommes machen am Zelt, dann versorgen sie alle Kinder der Parzelle gleich mit. Und ihre fünf Enkel unterstützen sie, soweit sie können. “Ohne Kinder gibt es doch keine Zukunft”, sagt Juray Semper.

Hinter der Buchsbaumhecke, die die Parzellen voneinander trennt, sticht ein dunkelroter Pavillon zwischen weißen Campingwagen hervor. Gelassen dreht sich Wolfgang Csacsko davor eine Zigarette. Früher ist der 50jährige Krankenpfleger nach Norwegen gefahren, auch mal nach Italien und Spanien. “Das ist nicht mehr drin.”

Krise braucht grüne Politik

Einige Meter entfernt mischen sich Kinderstimmen mit Hammerschlägen und Musik. Dort, wo das Gelände an das Strandbad grenzt, baut Heinrich Jehle sein Igluzelt auf. Er versucht es jedenfalls. Wenn nicht gerade der dreijährige Rafael was zu trinken will, die kleine Hannah aufs Klo muss oder der 12jährige Jonas die Luftpumpe sucht. Obwohl der Familienvater aus Nürtingen als Chemiker in der Pharmaindustrie ein gutes Einkommen hat, sei Camping für ihn die einzige Möglichkeit, Urlaub zu machen: “Mit drei Kindern ist alles andere zu teuer.”

Für Klaus Engelmann läuft das Geschäft gut. “Wir sind hier Gewinner der Wirtschaftskrise”, resümiert er. Auf einmal wird sein Blick ganz wach und seine Stimme kräftiger. Man müsse endlich anfangen, Konsequenzen aus der wirtschaftlichen Lage zu ziehen. So wie der 51jährige Engelmann, der vor kurzem Mitglied der Grünen geworden ist. “Die Krise braucht grüne Politik”, sagt er.

Jeder vierte Konstanzer sieht es genau so wie Engelmann. Seit der Kommunalwahl am 7. Juni dieses Jahres hat die Freie Grüne Liste (FGL) mit zehn Mandaten erstmals die Mehrheit im Gemeinderat und löst damit die CDU als bisher stärkste Kraft ab. Das liege vor allem am Bildungsschwerpunkt”, sagen die Mitglieder.

Bildung ist auch Engelmann wichtig, vor allem im Umweltbereich.  Mit 200 anderen Campingplatzbetreibern hat er sich zum Verein “Ecocamping” zusammengeschlossen. Dazu gehört, dass die Toiletten auf seinem Platz mit Wasser aus dem Bodensee gespült werden, Autos vor dem Gelände parken müssen und es Naturbildungsprogramme und Solargrills gibt. Engelmann sieht sich als Vorbild: “Für innovative Ideen werden wir zuerst oft belächelt. Aber die Leute fahren nach Hause und denken darüber nach.”

Die Krise hat ihr Gutes

Der Platz in Klausenhorn ist auf Familien eingestellt. Im Waschraum gibt es Mini-Waschbecken mit Mickimaus-Armatur auf Kniehöhe, im Backhaus können Kinder unter Anleitung Pizza backen, für den Abend hat sich der Zirkus Papperlapapp angekündigt. Klaus Engelmann blättert in einem Fotoalbum: “Das ist ein Vogelstimmenrad, das wollen wir hier vorn aufbauen”, sagt er und weist auf den Vorplatz.

Engelmann freut sich darüber, dass die Urlauber in Deutschland bleiben. Nicht nur, weil sein Campingplatz davon profitiere, wie er betont, sondern auch unter “grünen” Gesichtspunkten: “Es wird weniger Sprit verbraucht und die Leute unterstützen die heimische Wirtschaft.” Statt anstrengender Fernreisen oder Cluburlaub mit Animationsprogrammen sollten sich Familien auf andere Werte besinnen: “Zeit zusammen verbringen, sich miteinander beschäftigen”. Und so hat die Krise auch etwas Gutes.

 

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