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Aufbau Ost, Abbau West

21.08.2009 17:45, Thomas Trappe

Ein Handwerker nach getaner Arbeit.

Foto: Milos Djuric

HOF. Die Menschen in Hof fühlen sich als Verlierer der Wende. Die Zonenrandförderung ist weggebrochen, statt dessen fließt das Geld nun zu den Nachbarn in Sachsen und Thüringen. Heimische Unternehmer verlieren seitdem Aufträge, nicht wenige sind deswegen wütend. Nun fürchten sie auch noch die neue Konkurrenz aus Tschechien und Polen. Eine Momentaufnahme von Thomas Trappe.

HOF. Ruhig treten die Männer vom Zoll an die Arbeiter, offenbar Ausländer. Die beiden Fensterputzer zeigen ihre Arbeitsgenehmigung, die Polizisten geben die Daten durch. Ein paar Minuten dauert das Ganze, dann ist wieder Ruhe. Routine eben.

Hof ist Grenzstadt, ehemaliges Dreiländereck. Bis 1990 war hier die innerdeutsche „Zonengrenze“. Nach Ende der DDR blieb nur noch die eine Grenze zu Tschechien. Und auch diese wird durch EU und Schengen langsam bedeutungslos. Schwarzarbeit mag ein Problem in Hof sein, viel mehr beäugen die Arbeitnehmer hier aber die legale Konkurrenz. Sie kommt mit niedrigeren Löhnen aus dem nahen Sachsen und Thüringen, sie wird bald zusätzlich aus Tschechien und Polen kommen, davon gehen hier viele aus.

Der Mauerfall bedeutete für die 50.000-Einwohner-Stadt seinerzeit Boomjahre. Scharenweise kamen die neuen Bundesbürger in die Stadt, kauften buchstäblich die Schaufenster leer. Daran erinnert sich Michael Schmidt sehr gut. Er ist Handwerksmeister mit eigenem Sanitärfachgeschäft in Hof, eines der Größten in der Stadt. Der Endvierziger weiß noch sehr genau, wie die Ostdeutschen damals kamen, Ladenbesitzer Mühe hatten, die Lager wieder schnell genug aufzufüllen. „Es bestand ein ungeheurer Nachholbedarf“, sagt er. Der Kaufrausch hielt gut drei Jahre, so Schmidt. Danach konnte man auch im Osten ganz gut einkaufen.

In Hof folgte die Katerstimmung, die bis heute nicht verflogen ist. Denn statt zum Shoppen kamen die Ostdeutschen nun zum Arbeiten. Einheimische Handwerker verloren Aufträge, weil sie mit den Preisen der Konkurrenz nicht mithalten konnten. „Es gibt dieses massive Lohngefälle von Ost nach West immer noch“, sagt Schmidt, das mache sich in den Preisen der Handwerker bemerkbar. Viele Hofer sparten auch heute noch Geld, indem sie Aufträge an die Nachbarn im Osten vergäben. Auch öffentliche Ausschreibungen würden überproportional häufig nach Sachsen und Thüringen vergeben.

“Die Investoren sind schon oft um fünf vor zwölf abgesprungen”

Christian Damm von der Hofer Industrie- und Handelskammer (IHK) ist oft dabei, wenn es in seiner Stadt darum geht, neue Investoren zu gewinnen. Deshalb kennt der ehemalige Bankdirektor auch die Situation, dass auf der grünen Wiese schon der erste Spatenstich besprochen wird, der Interessent es sich dann aber kurzfristig anders überlegt und in den neuen Bundesländern baut. „Wenn ein Betrieb in Hof 30 Prozent Förderung bekommt, kriegt er in Thüringen 50“, nennt Damm ein Beispiel. Bei vielen Ansiedlungsprojekten sei man in der Stadt „schon oft bei fünf vor zwölf gewesen, dann ist der Investor abgesprungen, weil er ein paar Kilometer weiter mehr finanzielle Unterstützung bekommen hat“, sagt er.

Dem Lohngefälle West-Ost steht also ein Fördergefälle Ost-West gegenüber. Handwerker, die Lohnkosten sparen, bekommen oben drauf auch noch mehr Unterstützung vom Staat, so kommt das hier an in der Stadt. Dass „man sich da benachteiligt fühlt“, sei da ganz klar, sagt Schmidt.

Vor der Wende gab es in Hof noch die „Zonenrandförderung“, damit sollte der Verlust des Absatzgebietes in Mitteldeutschland ausgeglichen werden. Das Geld fließt seitdem in die Nachbargemeinden in Sachsen und Thüringen. Die Unternehmen hier haben „auf jeden Fall Geld verloren durch den Aufbau Ost“, sagt Damm. Logisch, „dass da manchmal Ärger aufkommt“.

Etwas handfester wird das Stimmungsbild, hört man sich etwas in der Stadt um. „Es kommt einem die Galle hoch, wenn so ein Ossi herkommt und alles besser weiß“, sagt ein Handwerker, die um ihn versammelten Kollegen nicken, sie sehen das ganz ähnlich. Erst vor kurzem habe ihm ein sächsischer Kollege eine Tür geliefert, „vor’s Geschäft geknallt, und weg war er. Das hätte sich von uns keiner getraut“, meint er. Der Mann, der einen Allround-Dienstleistungsbetrieb leitet, möchte seinen Namen nicht nennen. Er hat sich nach eigener Aussage aber inzwischen mit den Nachbarn irgendwie arrangiert, um nicht zu sagen: Abgefunden.

“Als Ostdeutscher muss man hier vorsichtig sein”

Nicht nur die Hofer Unternehmen sehen negative Folgen der Wiedervereinigung, sondern auch die einheimischen Arbeitnehmer. Schließlich gibt es knapp 3000 Pendler aus dem Osten, die hier arbeiten, in die Gegenrichtung fährt kaum jemand. Vor allem im Einzelhandel sind Ostdeutsche als Arbeitskräfte gefragt, da sie auch im Westen nur nach Osttarif gezahlt werden müssen. “Außerdem sind wir eher bereit, auch mal am Sonntag zu arbeiten oder Überstunden zu machen“, meint Steve aus dem sächsischen Plauen. Steve ist 29 Jahre alt und arbeitet seit kurzem als Maler in Hof. Seinen Nachnamen behält er lieber für sich. „Man muss hier als Ostdeutscher einfach vorsichtig sein, dass man nichts Falsches sagt“, meint er.

Roland Hetzel zeichnet eine Treppenstufe in die Luft, wenn er das Fördergefälle zwischen Hof und der ehemaligen Grenze darstellen will. Viel zu spürbar sei der Unterschied, „das müsste fließender geschehen“, sagt der Hofer Unternehmensberater, der schon einige Handwerker in Oberfranken in die Selbstständigkeit begleitet hat. Er weiß, dass vielen Oberfranken der Aufbau Ost zu sehr zu Lasten des nahen Westens geht. „Die Politiker sehen eben einfach nur auf die Landkarte und fällen dann aus der Ferne ihre Entscheidung“, sagt er. Was das beim Aufbau Ost für Städte wie Hof bedeutet, werde dabei leider übersehen.

„Politiker gehören nicht immer zur denkenden Elite“, sagt Hetzel dann auch nur halb im Scherz. Seine Meinung ist keine Rarität in der Stadt. Der Vorwurf, die Politiker verstünden nicht, was in Hof los ist, kommt nur selten ohne den zusätzlichen Hinweis, dass sie „weit weg“ seien. Zwischen Hof und München liegt ein ganzer Freistaat, von Berlin braucht man gar nicht zu reden. Dass gegen die Aufbau-Ost-Politik des Bundes von Landespolitikern nur wenig entgegengesetzt werde, verwundert aus dieser Perspektive freilich nicht. Es ist nicht unbedingt Politikverdrossenheit, die einem hier begegnet. Eher das Gefühl, dass man sich als Hofer besser erst mal selbst kümmern sollte.

Angst vor der Öffnung der Grenzen nach Tschechien und Polen

Und nun also auch noch Tschechien und Polen. Die absehbare Öffnung der Grenzen nach Deutschland auch für Handwerker „macht insgesamt Angst“, räumt Unternehmensberater Hetzel ein. Er geht davon aus, dass viele große Aufträge bald in die Nachbarstaaten gehen, „da spart man schon mal bis zu 20 Prozent“. Und der Hofer Allround-Handwerker, der seinen Namen nicht nennen will, fragt nur, was „die denn hier wollen?“. Er meint die Tschechen und Polen.

Insgesamt geben sich die Unternehmer in Hof aber noch selbstbewusst. Handwerksmeister Schmidt ist sicher, dass Hofer kaum Aufträge ins nahe Ausland vergeben werden, schlicht, weil sie „bei uns“ bessere Qualität geliefert bekämen. Auch Christian Damm von der IHK setzt auf einen Qualitätsvorsprung in Deutschland, der vor allem auf einer bessere technischen Ausrüstung beruhe. Die bedeutungsloser werdende Grenze habe vielmehr Vorteile, da die Hofer Handwerker so an neue Kunden kämen, meint er.

Doch nicht jeder glaubt in der Stadt an die Stärke des Hofer Handwerks oder an die Schwäche der polnischen und tschechischen Konkurrenz. Unternehmensberater Hetzel ist sicher, dass der technische Vorsprung der Hofer Unternehmen bald von den Nachbarn aufgeholt ist. „Die Lohndifferenz wird dagegen wohl noch länger bestehen.“

Die Menschen aus Hof erwarten die nächste offene Grenze mit gemischten Gefühlen.

 

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