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Großstadtfeeling in Mini

23.08.2009 18:34, Moira Lenz

ERDING. Ruhig ist es nachts in der altbayerischen Kreisstadt Erding. Außer vor dem Penthaus, einer Disko im Gewerbegebiet: Keineswegs einsam wacht hier die Jugend der Stadt. Vor der Tür des fünfstöckigen Geschäftsgebäudes wartet eine lange Schlange adrett aufgerüschter Menschen, die unbedingt hinein wollen: Denn an diesem Abend feiert ed Netz fünfjähriges Bestehen. Steffi strahlt. Die17-Jährige zeigt stolz ihre VIP-Manschette: „Mein Onkel ist bei der Raiffeisenbank und hat mir die Einladung zur Party geschenkt“. Das Wahlfahrt09-Team ist schon drin, um zu erfahren, was sich hinter diesem strahlenden Netz verbirgt.

Ed Netz ist eine Erfolgsgeschichte aus Erding: Die Community – 2004 von Sebastian Blum begründet, „aus der Idee heraus, Party-Bilder ins Netz zu stellen“– verzeichnet heute etwa 60.000 Besucher pro Woche. Party, chatten, Freunde treffen, damit hatte er damals einen Nerv getroffen: Denn das ist der große gemeinsame Nenner der Erdinger Jugend. Heute rangiert ed Netz hier noch vor den Branchengrößen Lokalisten.de und Facebook. Regionale Vernetzung stehe im Vordergrund, „so gelangen wir an die lokale Werbung“, erklärt der 26-Jährige Wirtschaftsinformatiker. „Wenn auf eine Party wegen uns 400 Leute mehr kommen, können wir ganz andere Preise verlangen, als wenn Nivea eine Cremekampagne bei uns schaltet – denn die wird einfach schlecht bezahlt“.

Das Netzwerk wird sich wohl noch einige Zeit auf Platz 1 halten, denn die meisten User wollen bleiben. Kein Wunder: In Erding herrscht Vollbeschäftigung – die Gegend ist eine Boomregion, seit 1992 der Münchner Flughafen Franz Josef Strauß im Erdinger Moos öffnete. Max Renninger vom Erdinger Anzeiger erklärt sich das so: „Irgendwie verändert sich hier alles zum Besseren, scheinbar ohne eigenes Zutun. Hier kommt einfach alles ganz selbstverständlich, weil die Strukturen noch stimmen“ – die Erdinger seien eben sehr traditionell. Und stolz auf ihre Herkunft, es gehe ihnen so gut, dass gar kein Zwang zu Veränderung bestünde, bemerkt der 23-Jährige.

Sandro Maierhofer hat es geschafft. Der 20-jährige Fliesenleger ist am Türsteher vorbei gekommen und will jetzt feiern: „Ed Netz nutze ich für Freunde, zum Kennen lernen und einfach zum  Schreiben“ – wählen wird er nicht, denn ändern will er nichts: „Ich lebe jetzt seit 20 Jahren in Erding und bleibe in Erding“. Darin gleichen sich die Stimmen und die Stimmungen der jungen Menschen: Hier ist es schön, hier will ich sein. So sieht das auch Alex, der im nächsten Jahr 18 wird: Nach der Schule will er studieren, Maschinenbau in München. „Dann mal schaun, wo ich Arbeit finde – ich würde gerne auf dem Land bleiben –  und da will ich dann verweilen“ – selbst die Sprache der Jugendlichen hat hier etwas Altmodisches.

Sonja ist auch im Penthaus. Die 17-Jährige macht eine Ausbildung zur Bürokauffrau, will dann ins Management – ihr Interesse an Politik ist mäßig: “Außer Horst Schlämmer interessiere ich mich nicht für Politik“. Hape Kerkeling alias Horst Schlämmer hat es geschafft: Mancherorts scheint die Kunstfigur realer als die Politik. Selbst aktive Nichtwähler wie Rentner Dietmar Loleit erwähnen das „Projekt“ als gelungene Parodie, die die Auseinandersetzung um Realpolitik fast zu ersetzen scheint.

Das sieht Steffi mit dem VIP-Bändchen anders: Politik interessiere sie schon, „schließlich geht es da um uns, aber ich darf noch nicht wählen“. Vor ein paar Wochen war sie in Berlin und Hamburg, mit ein paar Freundinnen, Sightseeing. „Interessante Städte, ganz anders als München oder Erding“, erzählt die Schülerin. „Ich hab eine Führung durch den Reichstag gemacht. Da sind wir auch zufällig in eine Demo rein geraten. Sie lacht: „Heute schon das Gras von Morgen rauchen“, damit sind sie rum gezogen“. Ihre berufliche Zukunft sieht sie in  München: „Dort arbeiten, aber in Erding leben. Denn hier ist es Großstadt-Feeling in  Mini“.

In der Region bleiben wird wohl auch Sebastian Blum, Gründer von ed Netz: Eben hat ihn ein Headhunter für eine große überregionale Tageszeitung mit Sitz in München abgeworben, um ihr Online-Portal zu verbessern. Warum sollte er auch gehen. Kommt man doch per Internet von Bayern in die ganze Welt.

 

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