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Energieversorgung in Eigenregie

03.09.2009 8:45, Paula Scheidt

SCHÖNAU. In Schönau im Schwarzwald ist vom Wahlkampf nichts zu spüren. Warum auch? Die Schönauer haben ihr Anliegen längst selbst in die Hand genommen: Sie haben eine Genossenschaft gegründet, das Stromnetz gekauft und versorgen sich und ihre Kunden deutschlandweit mit Ökostrom. Nun soll das Erfolgsrezept auch auf den Gasmarkt ausgeweitet werden. Umweltfreundlich und nachhaltig ist das nicht – aber strategisch schlau.

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[Foto: Milos Djuric]

“Die Chance wollten wir uns nicht entgehen lassen”, sagt Ursula Sladek. Spontane Besucher empfängt die Geschäftsführerin der Elektrizitätswerke Schönau (EWS) unter einem alten Scheunendach mit Blick auf den Schwarzwald. Rechterhand liegt das Büro, linkerhand das Wohnhaus der Sladeks. Eine Trennung zwischen Beruf und Privatleben gibt es kaum, denn auch Sladeks Ehemann und ihr Sohn arbeiten bei den EWS. In Schönau kennt die Familie jeder. Viele Schönauer arbeiten bei den Energiewerken, viele “EWS-ler” engagieren sich in der Lokalpolitik. Als vor einem Jahr das regionale Gasnetz zum Verkauf ausgeschrieben wurde, bewarben die EWS sich und bekamen den Zuschlag. Ab dem ersten Oktober betreiben sie das Netz.

“Und wenn wir schon das Netz haben, sollten wir auch das Produkt anbieten”, sagt Sladek. Man sieht der kleinen, zierlichen Frau mit dem grauen Schopf ihre 63 Jahre nicht an. Sie wirkt ausgeglichen und entspannt, nicht unbedingt wie eine viel beschäftigte Unternehmerin. Aber das trügt, die EWS erweitert nämlich gerade ihr Angebot: Ab November können Kunden in ganz Baden-Württemberg neben Strom auch Gas von den EWS beziehen – 100-prozentiges Erdgas.

Öko ist daran nichts. “Natürlich ist Erdgas nichts Ökologisches”, bestätigt Martin Halm. Er ist zweiter Geschäftsführer von EWS Schönau und gleichzeitig stellvertretender Bürgermeister des Ortes. Aber man müsse eben auch wirtschaftlich denken und mit dem neuen Angebot sei die EWS wettbewerbsfähig. In der Email, die vor einer Woche an die Kunden verschickt worden ist, wird auf den stetig härter werdenden Wettbewerb im Energiesektor verwiesen. Deshalb müsse man neue Geschäftsfelder erschließen. Außerdem komme man mit dem neuen Angebot einen lang gehegten Kundenwunsch nach. Viele Kunden wollten Strom und Gas vom gleichen Anbieter beziehen, weil das einfacher sei.

In Schönau bezieht so gut wie jeder seinen Strom von der EWS. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 wollten die Schönauer nicht warten, bis die Politiker etwas unternehmen würden. Sie berieten sich gegenseitig beim Stromsparen, investierten in Solarenergie und Wasserkraft, gründeten eine Genossenschaft und kauften schließlich das lokale Stromnetz. Seit 1998 bieten die EWS deutschlandweit Ökostrom an und sind dafür vielfach ausgezeichnet worden. Noch immer identifizieren sich die Schönauer stark mit den EWS, die Sladeks sind sehr beliebt, weil sie “trotz des Erfolgs so nett geblieben” seien, wie die Metzgereiverkäuferin Veronika Ulrich zusammenfasst. Dass Halm als EWS-Geschäftsführer zum stellvertretenden Bürgermeister gewählt worden ist, zeigt: Für die Schönauer sind beide Interessen bestens vereinbar. Vom Kirchturm aus sieht man auf zahlreichen Dächern Photovoltaikanlagen in der Sonne schimmern.

Biogas als Wahlkampfthema

Es steht zwar Biogas drauf, drinnen ist aber nur Luft: Die Gaskugel neben dem EWS-Büro ist ein Überbleibsel vom letzten Faschings-Umzug.

[Foto: Milos Djuric]

Nun wollen die Schönauer auch ihre Gasversorgung selbst in die Hand nehmen. Warum also nicht auch da auf Nachhaltigkeit setzen? Biogas statt Erdgas wäre schließlich kein neues Modell im Energiesektor. Und es hat prominente Befürworter, darunter Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU). “Die Einspeisung von Biogas in das Erdgasnetz würde die Effizienz von Biogasanlagen wesentlich optimieren”, sagte die Ministerin vor kurzem bei einem Rundgang durch das Deutsche Biomasseforschungszentrum in Leipzig.

“Überraschend und bedauerlich” findet Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher von Bündnis90/Die Grünen und Mitglied des Bundestags, dass die EWS zunächst nur Erdgas anbieten. Es sei nicht sinnvoll, weiterhin in fossile Energien zu investieren. Er fordert derzeit auf seiner Wahlkampftour ein neues Biogas-Einspeisegesetz, das die Einspeisung von Biogas ins Gasnetz sogar vorschreiben soll. “Nur durch gesetzliche Rahmenbedingungen kann Biogas wettbewerbsfähig werden”, sagt Fell.

Aber die Realität ist komplizierter, als es den Politikern lieb sein kann. “Auf keinen Fall verurteilen” möchte Andre Böhling, Energie-Experte bei Greenpeace, den Einstieg von EWS in den Gasmarkt. “Es ist klar, dass wir jetzt noch nicht vollständig auf erneuerbare Energien umstellen können. Das dauert noch mindestens 30 Jahre”, sagt er. Erdgas sei eine Brückentechnologie. Zum Heizen brauche man Erdgas noch eine ganze Weile und immerhin sei es klimafreundlicher als Kohle und Erdöl.

Ökologisch fundierte Kritik an Biogas

“Wir planen eine Strategie in Richtung Biogas”, sagt Michael Sladek, Ehemann von Ursula Sladek und Mitgründer der EWS, mit seinem weißen Rauschebart ist er schon von weitem sofort erkennbar. Nur: Nicht alles Biogas sei nachhaltig. Gas aus genmanipuliertem Mais oder den Abfallprodukten einer Massentierhaltung findet Sladek umweltschädlicher als Erdgas. “Sehr gut fände ich Biogas aus Gras, weil es wirklich nachhaltig ist”, sagt er. Das kann bisher aber nur in geringen Mengen gewonnen werden.

Als Experten für erneuerbare Energie sind er und seine Frau inzwischen deutschlandweit bekannt, in der Gegend um Schönau sind sie Helden. Erst vor wenigen Tagen moderierte Michael Sladek anlässlich der Bundestagwahl eine Podiumsdiskussion zur Zukunft der Energieversorgung. Auf dem Podium saßen die Direktkandidaten des Wahlkreises. Alle Stühle waren bis auf den letzen Platz besetzt. “Komisch, dass ich hier moderieren darf, wo ich doch so parteiisch bin”, wunderte sich Sladek mit einem Augenzwinkern. Die Zuhörer schienen sich daran nicht zu stören. So viel Beifall wie der EWS-Mitgründer erntete keiner der Politiker.

Manche EWS-Kunden wollen bewusst kein Biogas haben. Einer der größten Kunden ist die Firma Rittersport. Sie bezieht seit Anfang 2009 neben Ökostrom auch Gas von der EWS – und will explizit Erdgas. “Biogas widerspricht unseren Grundsätzen”, heißt es beim Schokoladenhersteller. Der Grund: Als Lebensmittelhersteller wolle man keine Energie nutzen, die aus Nahrungs- oder Futtermitteln hergestellt werde.

Kampf gegen das Gas-Monopol

Andere Kunden irritiert das neue Angebot. Der zweite Geschäftsführer Halm berichtet: “Es gibt schon Leute, die uns fragen: Warum denn Erdgas, das ist doch gar nicht ökologisch?” Eine sinnvolle Antwort kann auch er nicht darauf geben. Auf dem Strommarkt ist klar, was ökologisch bedeutet. Auf dem Gasmarkt ist es umso schwieriger.

Dennoch könnte das Gasangebot der EWS eine Chance sein – zum Aufbrechen der verkrusteten Strukturen auf dem Gasmarkt. Denn trotz Liberalisierung befindet sich die Gasversorgung immer noch in der Hand weniger großer Anbieter. “Indem sich die EWS in das Gasnetz eingekauft hat, leistet sie einen Beitrag zur Überwindung der Monopolstrukturen. Als Netzbetreiber können sie nun auf dem Gasmarkt mitbestimmen”, sagt Fell.

Nachhaltig ist das Gas-Angebot von EWS nur insofern, als dass die Kunden einen so genannten Sonnencent bezahlen: Je nach Tarif enthält der Gaspreis einen Förderanteil zwischen 0,01 und 0,1 Cent pro Kilowattstunde. Mit dem Geld wird weiter geforscht werden, wie man nachhaltiges Biogas in großen Mengen herstellen kann. Wann der Zeitpunkt gekommen ist, dem Erdgas Biogas beizumischen, werden die Schönauer nach eigenem Ermessen entscheiden – Biogas-Einspeisegesetz hin oder her. Sie führen bereits Gespräche mit Bauern in der Umgebung, die große Wiesen bewirtschaften.

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[Foto: Milos Djuric]

 

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