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Drei Generationen Grün

23.09.2009 20:24, Lu Yen Roloff

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Foto: Christian Salewski

WENDLAND. Im Wendland begab sich die Wahlfahrt09 auf Spurensuche nach der Geschichte der Grünen. Denn in der Gegend rund um Gorleben hat die Anti-Atombewegung seit drei Jahrzehnten eine feste Basis – und damit auch die Partei.

Marianne Fritzen kneift die Augen zusammen. Auf ihre Stirn legen sich Falten, als sie fragt: „Haben wir das Recht, diesen Müll zukünftigen Generationen zu überlassen?“ Es geht um den Atommüll im nur wenige Kilometer entfernten Zwischenlager in Gorleben. Die Frage ist reine Rhetorik, denn wirklich überzeugen muss sie hier niemanden: Eine Gruppe 18- bis 20-jähriger Freiwilliger im ökologischen Jahr sitzt an einem langen Tisch in der Scheune von Harrys Heuhotel in der Nähe von Lüchow. Dass sie alle gegen Atomkraft sind, ist selbstverständlich.
Die 20-jährige FÖJ-lerin Gesa Krone wurde schon als Kind auf die Demonstrationen im Wendland mitgenommen, das Fotoalbum der Familie zeigt die Eltern mit „Atomkraft, nein danke!“-Schild. Gut möglich, dass die Familie damals schon mit Marianne Fritzen zusammentraf. Wohl kaum jemand könnte die Geschichte des Wendlandes und der Grünen besser erzählen als die kleine 85jährige, die seit 36 Jahren gegen die Atomkraft kämpft.

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Foto: Jörn Neumann

Am Abend zuvor im Wohnzimmer von Fritzen. Auf den Sesseln am Fenster saßen schon Sigmar Gabriel und Jürgen Trittin. Nun sitzen hier drei Generationen Grüne beieinander: Neben Fritzen Martina Lammers, die derzeitige Vorstandsvorsitzende der Grünen im Landkreis Lüchow-Dannenberg und ihre Tochter Ronja Thiede. Die Tochter ist 18 und schon seit zwei Jahren Mitglied in der Partei, daneben sitzt sie auch im Vorstand der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow Dannenberg e.V. (BI). Marianne Fritzen ist so etwas wie ihre politische Großmutter: Sie ist nicht nur die “Mutter der Bewegung”, sondern auch ein Gründungsmitglied der Grünen. Schon 1978 baute Fritzen die Vorläuferpartei “Grüne Liste Umweltschutz” mit auf, die ein Jahr später mit anderen sozialen Bewegungen in den Grünen aufging. Die neue Partei sollte einen Gegenpol zur atomfreundlichen SPD in den Parlamenten schaffen und den illegalisierten Widerstand auf der Straße politikfähig machen.

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Foto: Jörn Neumann

Als Fritzen die Grünen mitgründete, war Ronja noch nicht geboren. Aber sie kennt das Bild, das Fritzen ihrer Mutter geschenkt hat. Rot auf Gelb zeigt es den Moment im März 1979, bevor die damals 50-jährige Fritzen bei einer Blockade zum ersten Mal festgenommen wurde. Fritzen steht darauf mit ihrer Strickmütze etwas verloren einer Gruppe großer Polizisten in voller Montur gegenüber. Klare Machtverhältnisse könnte man meinen, wäre da nicht dieser Blick, mit dem Marianne Fritzen zu den Polizisten aufschaut. Ein Blick, der sagt: Was wollt ihr von mir? Das Foto wurde zu einem Symbol der deutschen Anti-Atombewegung, genauso bekannt wie das gelbe X, die lachende Atomsonne und der Gorleben-soll-Leben-Auto-Aufkleber. 1984 benutzten es die Grünen als Wahlwerbung. Ihr Slogan: „Demokratie braucht Luft zum Atmen“.

Im Wendland setzte die damalige Regierung gegen den Widerstand der damals hunderttausend Menschen starken Anti-AKW-Bewegung das “Erkundungsbergwerk Gorleben” durch. Seither sind elf Castortransporte durchs Wendland gefahren, jeder einzelne hat eine “sechste Jahrezeit” ausgelöst, wie die Gegner den Ausnahmezustand während der Demonstrationen und ihrer Vorbereitungen dort nennen.

Auch die 42jährige Martina Lammers ist seit den 1980er Jahren im Widerstand aktiv – und durch eigene Erfahrung überzeugt, dass im Parlament allein kein Ende der Atomenergie erreicht werden kann. „Wir haben hier keinen Respekt vor der Staatsgewalt, weil die uns friedliche Demonstranten mit Füßen getreten hat“, sagt die Frau mit der sanften Stimme. Lammers Augen werden bei solchen Sätzen schnell feucht, der Widerstand ist eine Herzensangelegenheit für sie: „Unsere Kraft kommt aus dem Wissen, auf der richtigen Seite zu stehen. Und die richtige Seite ist der Widerstand gegen eine Sache, von der wir alle wissen, dass sie falsch ist.”

Weil die Grundschullehrerin stets bei den Demonstrationen dabei war, die der Staat so heftig bekämpfte, blieb auch ihre Tochter Ronja schon als Teenagerin bei Blockaden so lange sitzen, bis sie weggetragen wurde. Jetzt ergänzt die 18jährige mit Blick auf das Plakat: „Die Polizeigewalt begleitet unsere Demonstrationen leider immer.” Solche Sätze gehen den Kindern, die im Wendland aufgewachsen sind, flüssig von den Lippen. 300 ihrer Mitschüler wurden beim vorletzten Castortransport von der Polizei stundenlang eingekesselt. Auch wegen dieser Erfahrungen ist sie heute bei den Grünen aktiv.

Dabei ist genau die Institutionalisierung der grünen Graswurzel-bewegung das Problem: In der Bewegung kann man noch konkrete radikale Forderungen aufstellen, in der Politik muss man lavieren und andere Interessengruppen berücksichtigen – wie die Grünen beim Atomkonsens, den die Wendländer Grünen nicht mehr mittrugen. Für Fritzen war der Wendepunkt erreicht, als die von ihr mitgegründete Partei im Jahr 2000 den Atomkonsens unterschrieb. Sie, die Ikone der Bewegung, trat aus.


Marianne Fritzen hat Grünen mitbegründet. Im Interview erläutert sie, was sie dazu bewegt hat, aus der Partei auszutreten. Von Lu Yen Roloff und Daniel Poštrak.

„Ich hatte damals das Gefühl, dass meine wesentlichen Gründe, in die Partei einzutreten, verraten worden waren”, erinnert sich Fritzen im Gespräch mit Lammers und Ronja, und ebenso noch einmal am nächsten Tag den FÖJ-lern in Harrys Scheune: “Der Pazifismus, die Forderung der Abschaffung von Atomenergie und der basisdemokratische Charakter der Partei. Und damit alles, wofür ich 30 Jahre gekämpft hatte.“ Fritzens Austritt markierte einen Riss bei den Wendländer Grünen. Sechs von sieben Kreistagsmitgliedern folgten ihr. Lammers blieb schweren Herzens in der Partei: „Ich hatte vier kleine Kinder – ich musste daran glauben, dass es möglich ist, weiterzumachen.“ Heute sind die Grünen wieder eine politische Kraft im Landkreis – auch weil die jüngeren Generationen um Lammers und ihre Tochter erneut den Widerstand mit dem Parlament verbinden.

Nur in einem sind sich im Wohnzimmer von Fritzen einig: Die Atomlobby verhindere, dass die Regierung den Willen der Bevölkerung umsetze – weil Energiekonzerne und Regierung bereits Milliarden in die Atomenergie gesteckt hätten, sei die Abkehr von der Energieform, für deren Abfälle es bis heute keine Lösung gibt, nicht erwünscht. So oder so ähnlich klingt die Kritik, die Fritzen an der Atompolitik der Regierungsparteien formuliert.

Dabei sieht sie sich von den jüngsten Vorfällen bestätigt: Ob in Asse, Morsleben oder Gorleben, bei den Störfällen in Brunsbüttel und jüngst in Krümmel – immer wieder traten in den letzten Monaten Informationen zutage, die Politiker, Wissenschaftler und Vertreter der Energiewirtschaft systematisch vor der Bevölkerung zurückgehalten hatten. Obwohl je nach Umfrage zwischen 60 und 80 Prozent der Bevölkerung gegen die Nutzung von Atomkraft sind, wird sie von CDU/CSU und FDP weiterhin befürwortet. In ihren Wahlprogrammen fordern die Parteien unter anderem das Ende des Moratoriums von 2001, das weitere Aktivitäten im Erkundungsbergwerk Gorleben einfror. Im Umfeld von Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) tauchte kürzlich ein Gutachten auf, das den Bau neuer Atomwerke nicht ausschließt. „Wir leben also in einer Scheindemokratie“, sagt Marianne Fritzen den Jugendlichen heute: „Zwar soll die Mehrheit entscheiden – aber diejenigen, die diese Mehrheit vertreten, lügen uns systematisch an.“

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Foto: Jörn Neumann

Martina Lammers und ihre Tochter Ronja stehen für den Nachwuchs der Grünen, die beides tun: Im Parlament sitzen und trotzdem auf die Straße gehen. Fritzen hat dagegen den Kampf gegen die Atomkraft wieder in die eigenen Hände genommen. In ihrem Privatarchiv recherchiert sie, was aus alten Verträgen geworden ist, welche ungenauen Begriffe es in der Atompolitik gibt. Dabei stieß sie kürzlich gar auf alte Verträge zwischen der Regierung und anliegenden Bauern über die Salzabbaurechte, die diese an das Erkundungsbergwerk abgaben.

Es war ein Fund von großer Tragweite. Die alten Verträge könnten das Ende von Gorleben bedeuten – selbst wenn das Moratorium, wie von CDU und FDP gefordert, direkt nach der Bundeswahl gekippt werden würde. Denn die Verträge von damals sind bis 2015 befristet, nur soviel Zeit bliebe zur „Erkundung“ eines möglichen Endlagers in Gorleben. Danach müsste jeder weitere Schritt über Enteignungen und Gerichtsprozesse gegen die Vertragsinhaber laufen – die Wendländer sind schließlich widerständig.

Auch im Heuhotel sind die FÖJ-ler bei einer Diskussion von Fritzens Austritt bei den Grünen angekommen. Für Fritzen ist die Partei „das kleinste Übel“, sagt sie: “Ich wähle sie heute immer noch, denn wenn man Mehrheiten in der Regierung will, muss man wählen.”

Auch die jungen Freiwilligen finden die Grünen ganz ok, sehen sie aber nicht als “politische Heimat”. Sie wollen Berufe ergreifen, die etwas mit Umwelt zu tun haben. Schließlich ist die Idee des Naturschutzes in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Und das Misstrauen gegenüber der Atomkraft inzwischen Konsens.

 

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