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auf Deutschlandreise

“Die Deutschen lieben Obama, aber trotzdem hassen sie Amerika!”

25.09.2009 10:55, Malte Göbel
Foto: Jörn NeumannFoto: Jörn Neumann

HALLE. Andrei Markovits, Politikprofessor an der University of Michigan in Ann Arbor, veranstaltet zu jeder Bundestagswahl einen Wettbewerb unter seinen Studenten: Wer den Ausgang am besten tippt, bekommt eine Schwarzwälder Kirschtorte. Markovits selbst lag 2005 als Zweiter nur knapp daneben, diesmal tippt er folgendermaßen: SPD 26,8%, CDU 34%, FDP 13%, Grüne 9,2%, Linke 11,5%.  Er hat Einblick: Gerade ist er mit einer DAAD-Gruppe als Wahlbeobachter in Deutschland unterwegs. Mit der Wahlfahrt sprach er über den Niedergang der SPD, das Verhältnis zu Amerika und Obama im deutschen Wahlkampf – währenddessen lief im Hintergrund die Wahlkampf-Abschlussveranstaltung der Linkspartei mit Hauptredner Gregor Gysi auf dem Marktplatz von Halle.

Professor Markovits, gerade redet Gregor Gysi, wollen Sie den eigentlich nicht mit anhören?

Ach, er ist ein guter Redner, aber ich kenne ihn hervorragend, ich habe ihn schon 50 Mal gehört. Und ich schreibe gerade wieder ein Paper über ihn, im Vergleich mit Bruno Kreisky. Gysi als assimilierter Jude, bei dem das aber gar keine Rolle spielt, gegenüber Kreisky, bei dem jede Sekunde sein Judensein ein Issue war, für ihn, für Österreich, für beide, es war ein dauernder Tanz. Wenn das hier Westdeutschland wäre, würde es mich nicht interessieren, dort gab es ja eine Vergangenheitsbewältigung, aber in Österreich und im Osten nicht. Deswegen sind hier heute Rechtsradikalismus und Autoritarismus viel stärker als im Westen.

Sie nehmen das fünfte Mal an einer Wahlbeobachterreise in Deutschland teil. Was ist anders?

Ich erlebe den Wahlkampf eigentlich nicht viel anders, 1983, 1987, 1990, 1994, da war ich schon hier. Die Reise war anders, nur Männer, und eigentlich nur Amerikaner, Kanadier, Briten, Franzosen, Italiener. Und jetzt sind eine Nigerianerin, ein Chinese, ein Thailänder, eine Argentinierin dabei – die Welt ist anders! Und Deutschland ist größer geworden, damals sind wir nicht geflogen, nur mit dem Bus gefahren.

Und inhaltlich?

1983 war für mich sehr spannend, weil die Grünen gewonnen haben. An dem Abend hab ich Joschka Fischer kennengelernt. Das führte später zu meinem Buch “Grün schlägt Rot”.

Ist der Niedergang der SPD ein Resultat des Aufstiegs der Grünen?

Ich meinte nicht die Parteien, sondern dass der Welt-Diskurs vergrünt wird. Das ist so. Absolut. Und die SPD blutet, weil die Grünen das alles besetzt haben. Aber es gibt auch andere Gründe: Die SPD ist eine industrielle Männerpartei, es gibt heute weniger Industrie, und die Frauen sind ein viel wichtigerer Faktor. Aber das ist kein deutsches Problem, schauen Sie sich die SPÖ an! Die Labour Party, alle!

Welche Themen stehen für Sie im deutschen Wahlkampf im Vordergrund?

Es gibt keine übermächtigen Themen. Mich überrascht, dass es keine außenpolitische Debatte gibt. Das ist zwar nie entscheidend in einer liberalen Demokratie, aber Afghanistan, die Rolle der Nato – das ist null Thema! Oder Europa – das zeigt, dass die Europäische Union ein Konstrukt ist. Eine europäische Identität spielt in den Herzen der Leute keine Rolle . Nur wenn es um Amerika geht, ist das anders.

Wie meinen Sie das?

Die Europäer fühlen sich nur als Europäer, wenn es im Kontrast zu Amerika ist. “Wir Europäer sehen die Sache mit Kyoto anders.” Das ist eine emotionale Bindung, ein “Us versus Them”. Ansonsten ist Euroa aber kein emotionales Thema, und Emotionen sind das Wichtige in der Politik.

Also gibt es eher eine emotionale Bindung zu den USA – sind deswegen alle Deutschen Obama-Fans?

Es ist seltsam: Sie lieben Obama, aber trotzdem hassen sie Amerika! Diese Obama-Manie ist die andere Seite des Antiamerikanismus. Er wird als Europäer konstruiert, als kultiviert und Gegenstück zu Bush, als sensibel und fast als Sozialdemokrat. Doch das Bild bricht langsam. Wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt, etwa über Afghanistan, wird diese Love Affair bald aufhören. Für mich ist diese Obamanie und die europäische Sicht auf Amerika total inkongruent.

Obama als Europäer? Dabei ist er doch eigentlich der Prototyp des American Dream…

Ja,  aber manche Europäer haben ein inferiores Bild auf Amerika. Das hat eine lange Geschichte, weil Amerika das erste nicht-aristokratische Land ist, das hat auch die deutsche linke Intelligenza übernommen. Ich finde das anmaßend: In Europa wäre es undenkbar, dass ein Halbschwarzer aus Kenia Stammender deutscher Kanzler wird. Oder zum Beispiel ein türkischstämmiger Bodybuilder Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Da ist Amerika Europa weit voraus!

Macht es für die USA einen Unterschied, wer in Deutschland die Wahl gewinnt?

Ich würde sagen: Null. Das ist dort total egal.

Die deutschen Parteien würden so gern Obama nacheifern. Haben Sie das im deutschen Wahlkampf gesehen?

Nach diesem faden Fernsehduell die Schlagzeile “Yes we gähn”, das war brillant! Aber im Wahlkampf ist hier nichts Ähnliches zu sehen. Wobei sich die Systeme auch nicht vergleichen lassen, das wäre nicht wie Äpfel und Birnen, sondern Äpfel und Kürbisse. Allein die Herangehensweise: Wir haben Frau Künast in Freising gesehen, mittags um 12 Uhr, vor 50 Leuten, und allein wir waren schon 20 davon. Ich habe nicht verstanden, warum sie das gemacht hat. Warum gehe ich in ein Land, wo ich eh nicht gewinnen werde, da gehe ich doch wenn dann nach München wie der Westerwelle. Aber ich bin mir sicher, der Grünen-Campaignmanager weiss, was er tut.

Welche Eindrücke nehmen Sie sonst mit aus Deutschland?

Etwas Tiefgründiges? Null! Aber indem ich nichts Wichtiges oder Erschütterndes mitnehme, sehe ich, dass es eine gut funktionierende, etwas fade, stabile Demokratie ist, in der die Entscheidungen wie in jeder guten Demokratie relativ klein oder nicht weltbewegend sind. Ob wir nun rot-schwarz oder schwarz-gelb in den nächsten Jahren haben – das ist eigentlich ziemlich wurscht.

Der Pole – “Der Europagedanke ist in Deutschland in der Krise”

Der Holländer – “Den Niedergang der Volksparteien haben wir schon hinter uns”

 

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