Wahlfahrt09 » Wirtschaft http://www.wahlfahrt09.de Mon, 03 May 2010 15:28:35 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.2.1 „Niemand redet darüber, wie die Krise nach der Wahl bewältigt werden soll“ http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/%e2%80%9eniemand-redet-daruber-wie-die-krise-nach-der-wahl-bewaltigt-werden-soll%e2%80%9c/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=%25e2%2580%259eniemand-redet-daruber-wie-die-krise-nach-der-wahl-bewaltigt-werden-soll%25e2%2580%259c http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/%e2%80%9eniemand-redet-daruber-wie-die-krise-nach-der-wahl-bewaltigt-werden-soll%e2%80%9c/#comments Thu, 24 Sep 2009 14:33:53 +0000 Malte Göbel http://www.wahlfahrt09.de/?p=3455 Foto: Jörn NeumannFoto: Jörn Neumann

HALLE. Jay Rowell ist seit 2001 Forscher in Politische Soziologie an der Centre National de Recherche Scientifique (CNRS). Er leitet seit 2007 das Strassburger Forschungsinstitut Groupe de Sociologie Politique Européenne (www.gspe.eu) und ist seit 2006 stellvertretender Direktor vom Centre interdisciplinaire de recherches et d’études sur l’Allemagne. Seine Forschung und Lehrtätigkeit betrifft die Soziologie des Staates, Politisierung und Studien über die Sozialpolitik in Europa und in der EU.

Viele Deutsche finden den Wahlkampf langweilig. Sie auch?

Ja, jeder spielt ziemlich defensiv. Mich erstaunt es besonders, dass gerade die kleinen Parteien nicht in die Offensive gehen. Dabei könnten sie gegenüber der großen Koalition so gut punkten.

Sie haben Westerwelle, Künast und Gysi gesehen – sind die nicht laut?

Westerwelle ist natürlich am lautesten, den habe ich gestern in München gesehen. Er hat von Steuersenkungen gesprochen, war aber nicht überzeugend: Es gab keine konkreten Aussagen, was er in einer schwarz-gelben Koalition machen wird. Es wurden alle Themen angesprochen, Bildung, Wirtschaft, die klassischen Themen der FDP, aber gerade bei Wirtschaftsliberalismus hätte ich mehr erwartet. Der Diskurs bleibt im Allgemeinen und sehr abstrakt, man hätte auch mehr Beispiele nehmen müssen. Das fehlt bei eigentlich allen bis auf Gysi.

Wie erklären Sie sich die Friedlichkeit der Parteien?

Das hat zum Einen mit der Wirtschaftskrise zu tun, die in der Großen Koalition gemeinsam bekämpft wurde. So können weder SPD noch CDU heute sagen, sie würden alles anders machen.  Und zum Anderen hat es mit der politischen Kultur zu tun: Es geht sehr viel um Kompetenz und Sachlichkeit. Das hat man im Kanzlerduell gesehen, da blieb die Diskussion immer sehr sachlich, es fehlte an Emotionen, Bildern und Symbolen. Vielleicht wagt man wegen der deutschen Vergangenheit nicht, populistisch oder emotional zu punkten.

Es fehlen also die strittigen Themen.

Was mich sehr erstaunt ist, dass es in dieser Debatte gar nicht so sehr darum geht, was nach der Wahl kommt. Die Krise ist ja schon ein Jahr alt, und auch wenn es langsam wieder aufwärts geht, kommt erst Morgen die schmerzhafte Entscheidung, wie der Haushalt saniert werden soll, durch Kürzungen oder Steuererhöhungen. Es gibt offenbar einen Konsens, diese schmerzhafte Zukunft nicht anzusprechen. 2005 hat die CDU das gemacht und fast verloren. Hier müssten die Journalisten die Kandidaten herausfordern und nachfragen, wie etwa Steuersenkungen finanziert werden sollen. Westerwelle sagt, das würde die Wirtschaft ankurbeln und sich dadurch refinanzieren, aber weiß seit Reagan 1981, dass das nicht funktioniert. Aber auch die SPD sagt nicht, wie es weitergehen soll, die Grünen mogeln sich um das Thema herum, und Merkel ist ebenfalls in der Defensive und hat Angst, den Wahlsieg noch zu verspielen.

Ist dieser Konsens-Wahlkampf typisch deutsch?

In Deutschland herrscht Konsens: Die Krise ist von außerhalb gekommen, es gibt zwar strukturelle Probleme, aber keine Schuldzuweisungen, nur bei den Linken findet man das. In Frankreich gibt es Versuche, die Schuld für die Krise auf nationaler Ebene anderen zuzuschieben: Weil angeblich Sarkozy und seine Vorgänger Deregulationspolitik betrieben haben.

Würden Franzosen Merkel oder Steinmeier wählen?

Ganz bestimmt nicht! Wobei in Frankreich im Grunde genommen Wahlen wie in Deutschland gewonnen werden: Man verspricht viel, das man hinterher nicht einhalten kann. Nur populistischer. Diese Bescheidenheit der beiden Kandidaten, das wäre in Frankreich unmöglich. Ein aufgeblähtes Ego ist sogar beliebt. Man sucht jemanden, der entscheiden kann, der durchsetzungsfähig ist und viel verspricht, das hat damit zu tun, dass der französische Präsident viel allein entscheiden kann, in Deutschland müssen die Politiker zusammenarbeiten und konsensfähig sein. Das erzeugt dann verschiedene politische Kulturen.

Mit welchen Themen könnte Steinmeier noch punkten?

Ich würde auf die Ängste abzielen, dass die FDP oder Schwarz-Gelb den Sozialstaat abbauen oder Steuern nur für die obere Schicht senken wollen. Das Problem ist, dass die SPD mit Hartz IV Reformen gegen den kleinen Mann gemacht hat, das muss sie jetzt anders machen. Und Steinmeier hat das alles mit entschieden. Daran wird die SPD noch lange zu knabbern haben.

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TV-Duell: Erstwähler vermissen Klartext http://www.wahlfahrt09.de/menschen/tv-duell-erstwahler-vermissen-klartext/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=tv-duell-erstwahler-vermissen-klartext http://www.wahlfahrt09.de/menschen/tv-duell-erstwahler-vermissen-klartext/#comments Sun, 13 Sep 2009 11:30:32 +0000 C. Salewski http://www.wahlfahrt09.de/?p=2698 Osnabrueck_tvduell_jugendliche

Foto: Milos Djuric

OSNABRÜCK. Normalerwiese schauen sie gemeinsam Fußball. Doch im Fernsehen versuchen sich am Sonntagabend Kanzlerin und Kandidat an so etwas Ähnlichem wie Wahlkampf. In einem Wohnzimmer im Osnabrücker Westen sitzen vier gespannte Erstwähler. Und werden enttäuscht.

Von wegen politikverdrossen! Max ist 19 und durchaus politisch interessiert. Am 27. September wird er zum ersten Mal wählen. So wie seine drei Kumpels Jonas, Oskar und Pierre, die er ins Wohnzimmer seiner Eltern im Osnabrücker Westen eingeladen hat, um mal zu schauen, wie Kanzlerin und Kandidat sich im Fernsehen schlagen. Die vier Jungs machen es sich gemütlich. Füße hoch, ein Bier in die Hand. “Das ist ja wie beim Fußball-Gucken”, sagt Max. Aber erst muss der Sender bestimmt werden. Max zappt durch die Vorberichterstattung. Er entscheidet sich für ARD. “Der Unterschied in der Aufmachung ist voll krass. Bei den Privaten sieht das nach Entertainment aus.” Also öffentlich-rechtliche Solidität.

Die vier Abiturienten haben als Leistungskurs Politik gewählt. Sie wissen schon Einiges über die Themen und Farbenspiele, die in Berlin Konjunktur haben, auch wenn das politische Wissen noch ausbaufähig ist.

Vier Erstwähler, die langsam aber sicher ins politische Bewusstsein tappsen. Sie sind die perfekte Klientel. Jetzt können Merkel und Steinmeier ihnen beweisen, dass demokratischer Streit spannend und aufregend sein kann.

“Anpfiff!”, sagt Pierre. Steinmeier bei seinem ersten Statement. “Der hat echt eine Stimme wie Schröder”, sagt Max. “Aber er ist lange nicht so charismatisch”, wirft Jonas ein. Steinmeier redet von Anstand und Vernunft, die in die Wirtschaft zurückkehren müssten. Jonas beugt sich etwas zu Max rüber. “Das sind doch solche Phrasen.” Erste Enttäuschung.

“Ich finde, die antworten gar nicht, die hören gar nicht auf die Frage”, sagt Pierre. An den Politikersprech müssen sie sich noch gewöhnen. Und auch daran, dass Merkel und Steinmeier sich eher umarmen als sich zu duellieren.

Als Peter Kloeppel fragt, ob die Kontrahenten sich eigentlich duzen, lacht Jonas. “Voll die typische RTL-Frage”, sagt er. “Der will die halt mega-provozieren”, sagt Max. Pierre ergänzt: “Ja, die wollen die richtig gegeneinander aufhetzen.” Endlich die Chance auf ein bisschen Konfrontation im TV. Aber die Kanzlerin wirft ein Wattebällchen nach dem anderen. Kein Vergleich zu Stoiber gegen Schröder findet Max. Der Wahlkampf von 2002 war der erste, den er bewusst verfolgt hat, und die deftige demokratische Auseinandersetzung hat ihm Politik schmackhaft gemacht.

Dann, endlich, ein Thema, das Streit verspricht. Atomkraft. Steinmeier geht die Kanzlerin zum ersten Mal direkt an. Auch auf der Couch wird jetzt diskutiert. “Erneuerbare Energien müssen her”, sagt Max. Die beiden Politiker auf dem Bildschirm seien in dieser Frage aber nicht besonders glaubwürdig. “Das ist ein Thema von den Grünen”, sagt er.

Pierre ist anderer Meinung. “Die Grünen plakatieren Atomfässer und warnen vor schwarz-gelb, aber dann gehen sie in den Ländern mit der CDU in Koalitionen. Das ist Wählerverarschung, finde ich.”

Schon wird es wieder sperrig. Steinmeier spricht über Regulierung der Finanzmärkte. “Irgendwie finde ich den nicht authentisch”, sagt Jonas. Strengere Regeln seien nötig, sagt der Herausforderer. “Ja, und warum hat er das dann nicht gemacht?” will Max wissen. Jonas hat eine Analyse parat: “Steinmeier ist in einer ganz guten Situation. Er kann immer sagen, in der Großen Koalition geht das nicht”. Tatsächlich hat der Herausforderer Oberwasser. Die Kanzlerin steht etwas bedröppelt daneben. “Wie die guckt. Fehlt nur noch, dass die anfängt zu bellen”, sagt Pierre. “Die sagt eh nie, wie sie was machen will. Das ist einfach nur oberflächlich”, findet Jonas.

Merkel verliert im Osnabrücker Wohnzimmer noch weiter an Boden, als sie ihr Glaubensbekenntnis ablegt: “Wachstum schafft Arbeit.” Sie betont jede Silbe einzeln. Es ist ihre zentrale Botschaft und jeder soll sie verstehen. Die Kanzlerin will die Steuern senken. Steuersenkungen? “Das ist doch absolut unglaubwürdig”, findet Jonas. Das sagt auch Steinmeier.

Wieder ein Punktgewinn.

Das Duell plätschert so vor sich hin. Die Jungs wirken so, als würden sie ein Fußballspiel doch etwas spannender finden. Aber sie hören diszipliniert zu. Nach den Schlussworten ist Zeit für ein Fazit. Bei den vier Jungs ist die Sache klar: Beide waren irgendwie öde, aber Steinmeier hat sie überzeugt, auch wenn Merkel “für CDU-Verhältnisse schon ganz cool ist”, wie Jonas sagt. “Bei Steinmeier hätte ich nicht gedacht, dass der so charismatisch ist”, sagt Oskar. Pierre sieht das ähnlich, auch wenn er es schade findet, dass die kleinen Parteien nicht vertreten waren. Und Max meint: “Was nervt, ist, dass die gar nix über Bildungspolitik gesagt haben.” Stellvertretend für alle vier Erstwähler fasst Jonas zusammen: “Ich hab jetzt ein anderes Bild von Steinmeier, positiver als vorher. Das Duell hat er auf jeden Fall gewonnen.” Nach einer kurzen Pause schiebt er nach: “Aber die Wahl wird er trotzdem verlieren.” Die drei anderen nicken zustimmend.

siehe auch: Steinmerkel im TV

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“Integration zur Normalität machen” http://www.wahlfahrt09.de/orte/integration-zur-normalitat-machen/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=integration-zur-normalitat-machen http://www.wahlfahrt09.de/orte/integration-zur-normalitat-machen/#comments Fri, 11 Sep 2009 21:43:37 +0000 Malte Göbel http://www.wahlfahrt09.de/?p=2487

Duisburg_Buergermeister

Foto: Milos Djuric

DUISBURG. Der Ruhrpott ist rot, Duisburg hat trotzdem einen CDU-Bürgermeister: OB Adolf Sauerland wurde am 30. August mit 44,6 Prozent im Amt bestätigt, viele mögen ihn und seine joviale Art – er fährt Motoroller statt Auto und hat im seinem Büro ein übergroßes Flugzeug-Modell der Boeing 747 namens “Duisburg”. Noch lieber zeigt er aber ein kleineres Modell des doppelstöckigen Airbus A380, der bald den gleichen Namen tragen soll.

Sie müssen als Duisburger Bürgermeister auch mit SPD-Kollegen zusammenarbeiten. Wie kommen Sie denn miteinander klar?

Ach, mit den Kollegen komm ich gut aus, aber da spielt auch die Parteipolitik kaum eine Rolle. Die Aufgabenstellung ist in den meisten Städten ähnlich. Da ist nicht viel Platz für Ideologien. Manche Städte haben noch Geld dafür, etwa Düsseldorf, aber wir schon lange nicht mehr.

Die rote Vergangenheit des Ruhrgebiets hat sich also erledigt?

Es gibt keine Stammwählerschaft mehr. Davon müssen sich alle Parteien freimachen, zumindest in der Kommunalpolitik ist das so. Natürlich gibt es Potenziale, die wir ansprechen müssen, und da ist Duisburg ohne Frage eine SPD-Stadt. Aber die SPD hat in Duisburg große Probleme, dieses Potenzial kommunalpolitisch in Wähler umzusetzen. Die Analyse sagt, dass die SPD 30% ihres Wählerpotenzials aktiviert hat, die CDU 70%. Und deswegen sind wir ungefähr gleich stark.

Aber die CDU hat gerade ihre Mehrheit im Stadtrat verloren…

Ja, aber auf was für einem Niveau! Ich mache Kommunalpolitik seit gut 30 Jahren, und dieses Niveau hätte ich mir damals nicht vorstellen können! Wir hatten damals immer knapp über zwanzig Prozent. Aber keine Frage, natürlich haben wir uns bei der letzten Wahl mehr versprochen.

Wie mobilisieren Sie?

Durch direkte Ansprache auch außerhalb des Wahlkampfes. Gerade ist Ramadan, und im Wahlkampf waren da viele Kommunalpolitiker unterwegs. Jetzt, seit den Wahlen am vergangenen Sonntag, bin nur noch ich unterwegs. Die Menschen wollen keinen Wahlkampf, sondern permanente Präsenz und Kommunikation mit der Politik. Und das wurde auch honoriert.

In Marxloh war das Ergebnis nicht so gut. Was muss die CDU dort machen?

Die Gegebenheiten des Ortes gut darstellen. In Obermarxloh wurde gesagt, das Ergebnis sei eine Katastrophe, und man kritisierte mich, weil ich mich angeblich zu sehr mit Türken zeige. Aber mein Ergebnis war dort 13 Prozent besser als das der CDU. Wer hat da Recht?

Also fremdelt die CDU mit Ihrer Integrationspolitik?

Was die CDU in fünf Jahren an Integration dazugelernt und an Potenzial entwickelt hat, ist schon enorm. Man sollte die Leute auch nicht überfordern. Jetzt haben wir sechs Jahre Zeit, das weiter zu entwickeln. Da wird sich einiges tun. Nordrhein-Westfalen hat jetzt einen Integrationsminister – das ist in der CDU nicht allen vermittelbar, aber es ist ein Zeichen! Das braucht alles etwas Zeit, aber wir sind auf einem guten Weg. Da sind für die CDU in Städten wie Duisburg richtig große Potenziale.

Welche Vorstellungen haben Sie für Duisburg, die Sie von der SPD abheben?

Wir müssen aus der Struktur einer Montanstadt raus. Aus Nostalgiegefühlen ist das okay, aber es ist nicht die Zukunft dieser Stadt. Die liegt auf anderen Feldern. Stahl ist wichtig für Duisburg, aber da wird es in Zukunft keine weiteren Arbeitsplätze geben. Wir müssen unsere Stadt attraktiver machen, uns zu einer Dienstleistungsstadt wandeln. Städtetourismus ist wichtig, das wird im Rahmen der Kulturhauptstadt 2010 zum Thema. Das sind die Märkte der Zukunft.

Welches Projekt haben Sie als Oberbürgermeister im Auge?

Integration zur Normalität machen. Integration ist kein Problem, es ist ein Potenzial. Ein Problem sind die fehlenden Deutschkenntnisse. Seit fünf Jahren schicken wir Deutschlehrer in die Schulen, das sind meist türkischstämmige Jugendliche, Lehramtsanwärter, die auch die Sprache der Kinder sprechen. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass durch diese Sprachförderung nicht nur die Deutschnoten besser werden, sondern auch die in allen anderen Fächern. Jetzt verstehen sie, worüber in Mathematik geredet wird!

Und wie gehen Sie die Probleme in Stadtteilen wie Marxloh an?

Wenn Sie in Marxloh waren, am Bebelplatz, gucken Sie sich mal um. Einfach mal die Augen aufmachen, was sehen Sie da? Wer sitzt da in den Problemecken? Und wer nicht? Dann kommen Sie zu Erkenntnissen, die will ich Ihnen jetzt nicht vorwegnehmen – die sind schon interessant. Und so ist der Bezirk aufgestellt. Wenn ich das jetzt sagen würde, gibt es nur Kartoffeln von denjenigen, die die Wahrheit nicht hören wollen.

Können Sie es noch etwas mehr andeuten?

Wir haben die junge Bevölkerung. Wir haben die alte Bevölkerung. Und wir haben eine hoch sozial schwache Bevölkerung. Und gucken Sie sich das mal an, wer welchen Hintergrund hat. Mit oder ohne Migrationshintergrund. Sie werden das sofort sehen. Wir waren mit dem WDR da, die haben das gefilmt. Und haben über die Probleme von Migranten in Marxloh gesprochen, und ich habe denen gesagt: Gucken Sie sich das einfach nur mal an. Welches Problem sehen Sie hier?

[Anm. d. Red: Wir sind dieser Frage mit einem Video nachgegangen, offenbar meinte OB Sauerland, dass nicht die Migranten, sondern arbeitslose Deutsche das Problem darstellen]

Wie wollen Sie diese Leute noch mitnehmen?

Wir müssen die mitnehmen! Wir müssen versuchen, Angebote so zu gestalten, dass die nicht sich übergangen sehen, dass die nicht Outsider der Gesellschaft sind. Da brauchen wir staatliche Angebote, da brauchen wir Gelder, um die mitnehmen zu können. Und wir brauchen eine Diskussion um Sozialgesetzgebung. Aber die muss ich nicht führen, das müssen die im Bundestag machen.

Interview: Lena Brochhagen, Malte Göbel

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Wenn Brautkleid, dann Marxloh http://www.wahlfahrt09.de/orte/wenn-brautkleid-dann-marxloh/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=wenn-brautkleid-dann-marxloh http://www.wahlfahrt09.de/orte/wenn-brautkleid-dann-marxloh/#comments Fri, 11 Sep 2009 11:08:56 +0000 Lena Brochhagen http://www.wahlfahrt09.de/?p=3033 Duisburg. Duisburg-Marxloh ist klar spezialisiert: Gefühlt jedes zweite Geschäft verkauft Brautmode, und das nicht nur in Weiß. Für ihre Auswahl ist die Weseler Straße im Stadtteil Marxloh überregional bekannt, dafür sorgt Werbung im türkischen Fernsehen. Aus Berlin, den Niederlanden und sogar der Türkei kommen Kunden.

Als wahlfahrt09.de in der Fußgängerzone Station macht, haben gerade wieder zwei neue Geschäfte eröffnet. Einige Anwohner klagen, sie bräuchten endlich einen Bücherladen, kein weiteres Hochzeitsgeschäft, auch wenn die in leer stehende Läden kommen. Doch für die Brautmodenverkäufer ist die Monostruktur ein klarer Erfolgsfaktor. Eine Umfrage in Brautmode-Geschäften.

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Foto: Lena Brochhagen

Zehra Sahin, Verkäuferin im Brautmodengeschäft „Bayar“:

„In Deutschland ist Marxloh der Ort für Brautkleider. Wenn man ein Brautkleid braucht oder Abendmode oder Herrenmode, dann weiß man: Okay, wir fahren nach Marxloh. Die Kunden kommen sogar aus der Türkei. Es gibt hier so viele Läden, da hat man eine große Auswahl.

Deutsche wollen eher einfache Brautkleider, Türken mehr etwas Pompöses, Ausgefallenes – aber da ist auch jeder anders. Das Kleid muss aber immer einmalig sein.“

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Foto: Lena Brochhagen

Hülya Seren, Verkäuferin im Brautmodeladen „Topkapi”

„Gerade sind cremefarbene Kleider in Mode. Wir verkaufen auch Zubehör wie weiße Kopftücher. Die kann sich die Braut beim Friseur legen lassen. Auch viele Deutsche kommen hierher, die haben eigentlich den gleichen Geschmack wie Türken. Letztens sind auch Touristen gekommen, aus Japan glaube ich, die wollten sich den Laden angucken. Ich hatte vorher einen klaren Wunsch, wie mein Brautkleid aussehen soll, aber jetzt, weil ich hier arbeite, komme ich ganz durcheinander – ich weiß gar nicht, was ich kaufen soll.“

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Foto: Lena Brochhagen

Nagihan Güner, Verkäuferin im Brautmodengeschäft „Ophelia“

„Das Geschäft läuft in Marxloh sehr gut, auch wenn es viel Konkurrenz gibt. Am Wochenende kommen sehr viele Leute, die meisten aus den Niederlanden. So viele Geschäfte auf einen Fleck gibt’s nirgendwo in Deutschland. Das spricht sich rum. Es kommen auch viele Deutsche. Die sind sehr zufrieden mit dem Service.“

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Foto: Lena Brochhagen

Özlem Ülger, Inhaberin des Negligee-Geschäfts „özgül“

Ich verkaufe Unterwäsche für die Brautmode und die traditionellen gegenseitigen Geschenke zur Verlobung. Die Bräutigamseite muss der Braut ein Negligee-Set holen, plus Unterwäsche, Schminkartikel. Auch die Schwiegereltern bekommen etwas. Die Bräutigam-Seite muss mit 180 bis 240 Euro Kosten rechnen, die Brautseite zahlt weniger. Mein Geld verdiene ich mit den Kunden von außerhalb. Wären hier nur Leute aus Duisburg, hätte ich längst dicht gemacht.

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Foto: Lena Brochhagen

Esra Kunt, Verkäuferin im Brautmodengeschäft „White Lady Design“
„Wir produzieren unsere Kleider selbst. Die Mutter unseres Chefs ist unsere Designerin. Die Fabrik ist in Izmir. Die Kleider bei uns sind besser als Produkte aus China, da sind die Stoffarten nicht so gut. Man merkt die Qualität auf den ersten Blick, den Stoff, wenn man es anfasst.
Wenn man Brautmode sagt, kommt direkt in Gedanken ‚Marxloh’. Unser wichtigster Tag ist der Samstag, da kommen die Leute aus bis zu 400 Kilometern.“

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Die Start-Up-Migrantinnen http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/die-start-up-migrantinnen/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=die-start-up-migrantinnen http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/die-start-up-migrantinnen/#comments Fri, 11 Sep 2009 08:21:45 +0000 Lena Gürtler http://www.wahlfahrt09.de/?p=3510 Duisburg_Brautmode-2Foto: Milos Djuric

ESSEN/DUISBURG. Ihre Wurzeln sind in der Türkei, Polen oder dem Iran. In Deutschland sind sie erfolgreiche Unternehmerinnen. Viele Frauen mit Zuwanderungsgeschichte sind selbstständige Unternehmerinnen – richtig wahrgenommen wird ihr Erfolg kaum.

Sie sind auf der Suche nach ihrem ganz eigenen Satz. In einem türkischen Restaurant in Essen sitzen 18 Frauen in einem Seminarraum, senken ihre Blicke auf kleine Zettel und hoffen, dass die Workshop-Leiterin sie nicht als Erste dran nimmt. “Reden. Begeistern. Überzeugen”, heißt das Seminar. Aufgabe eins: sein Unternehmen und sich selbst in einem Satz präsentieren. “Ich bin 43 Jahre, Mutter von zwei Kindern und Bilanzbuchhalterin”, sagt eine Frau. Sie ist zu spät gekommen, hat die Einführung verpasst. Und die Workshopleiterin korrigiert sie gleich:  “Wir vermarkten uns doch mit! Was interessiert es Ihre Geschäftspartner, wie viele Kinder Sie haben?” Die Frauen lachen. Sie tragen Absatzschuhe, Kostüme, weiße Blusen oder Hosenanzüge und machen nicht den Eindruck, als würden ihnen solche Anfängerfehler im Geschäftsalltag unterlaufen. Eine ist die erste türkische Steuerberaterin in Duisburg gewesen, eine andere ist Schuh- und Tascheneinkäuferin für eine deutschlandweit bekannte Kette, neben ihr sitzt eine Frau, die Unternehmen bei ihrer Expansion nach Rumänien berät.

Das Business-Netzwerk für Migrantinnen “Petek” organisiert den Workshop. Als acht Unternehmerinnen das Netzwerk 2005 gründeten, waren sie nach eigenen Angaben in Deutschland die ersten Migrantinnen, die mit einem eigenen Netzwerk auf ihren unternehmerischen Erfolg aufmerksam machen wollten. Und das, obwohl Migrantinnen öfter Unternehmen gründen als deutsche Frauen. Häufig gezwungenermaßen, denn sie sind auch öfter arbeitslos und haben Probleme mit der Anerkennung ihrer ausländischen Abschlüsse. Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es  40.000 selbstständige Frauen mit Zuwanderungsgeschichte – wie es im Ministerium für Frauen- und Integration heißt. Dazu zählen auch die Töchter der Einwanderinnen. 17.000 dieser Unternehmerinnen haben einen deutschen Pass, doch als Wählerpotenzial scheinen deutsche Politiker die Frauen noch nicht entdeckt zu haben. “Bei mir hat sich während des Wahlkampfs kein Politiker gemeldet”, sagt Birnur Öztürk, die Vorsitzende von Petek. Wie die Anderen grübelt auch sie an diesem Abend über den perfekten Vorstellungssatz für ihr Vertriebsbüro.

Tülay Polat hat ihn schon gefunden: “Ich führe die Kommunikation Ihres Unternehmens ins digitale Zeitalter”, sagt sie ohne Zögern und Rotwerden. Mit ihrem Startup-Konzept für ein multikulturelles Anzeigenportal hat sie vor vier Jahren den ersten Preis eines Gründerwettbewerbs gewonnen. Doch an der Umsetzung ist sie gescheitert. “Damals wollte ich wie Ebay oder Amazon werden, jetzt hat es sich anders entwickelt, und das ist auch gut”, sagt Polat. Sie hat nicht aufgegeben. Inzwischen designt sie Onlineauftritte, bietet interkulturelles Marketing an. Wieder als selbstständige Unternehmerin. Ihre türkischen Wurzeln seien kein Hindernis für sie gewesen: “Gründerin ist Gründerin. Für Frauen ist das generell schwieriger als für Männer.” Letztlich sei es eine Frage des Bildungsniveaus. Wahrscheinlich aber auch eine Frage des Integrations-Levels: Die 37-jährige Polat hat zwar schwarze Haare und dunkle Augen, aber auch einen ausgeprägten fränkischen Akzent. Nach dem Abi in Hof hat sie BWL in Duisburg studiert.

Über den klassischen deutschen Bildungsweg in Richtung Selbständigkeit marschieren, diese Option haben ältere Migrantinnen nicht. Gül Alp ist 52 und Mitte der siebziger Jahre aus Anatolien nach Deutschland gekommen. Gerade sind die neusten spanischen Brautkleider in ihrem Laden in Duisburg-Marxloh eingetroffen. Gül sitzt zwischen ihrer Lieferung vollbehangener Kleiderstangen, nebenan berät eine Mitarbeiterin eine Frau beim Abendkleidkauf. Wer Brautkleider in Marxloh verkaufen will, hat starke Konkurrenz. Mindestens 33 Brautläden gebe es in der Umgebung, sagt Alp. Doch sie weiß sich durchzusetzen. In der Türkei wollte sie Lehrerin werden, in Deutschland war ihr Abschluss nichts mehr wert. Ihr Mann arbeitete als Dolmetscher am Gericht, und Gül Alp bekam vier Kinder. Neben der Kindererziehung arbeitete sie als Schneiderin. Dann zerbrach die Ehe.

Ohne die Scheidung wäre sie heute nicht selbstständig, sagt sie heute. So war sie gezwungen, selbst aktiv zu werden: Für ein Brautmodengeschäft nähte sie Brautkleider, änderte Kleider und übernahm schließlich von ihrem Chef den Laden. Jetzt finanziert sie ein neues Brautmodengeschäft für ihre Töchter in Düsseldorf und träumt von weiteren Geschäften in Berlin und München. Einen deutschen Pass hat Alp nicht: “Ich bin Ausländer, aber das deutsche Leben ist mir vertraut.” Stolz erzählt sie, dass ihre Töchter früher anderen Kindern Deutsch-Nachhilfe gaben. Die haben auch die deutsche Staatsangehörigkeit und wählen grün. Wenn sie dürfte, würde auch sie wählen. Ohne Stimmberechtigung ist sie für die wahlkämpfenden Parteien im Moment allerdings uninteressant. Immerhin, einmal wurden sie und andere Frauen aus Marxloh von einem Politiker zum Essen eingeladen. Das war vor der Bürgermeisterwahl in Duisburg. Gül Alp hat kurz überlegt, ob sie hingehen soll. Schließlich hieß der CDU-Bürgermeister, der sie einlud, Adolf mit Vornamen. Doch Adolf Sauerland hat es geschafft, sie von sich zu überzeugen und damit auch von seiner Partei. Und so geht der CDU bei der Bundestagswahl eine Stimme verloren, weil Gül Alp nicht wählen darf.

Auch Birnur Öztürk, die Vorsitzende von “Petek”, darf nicht wählen, denn sie will ihre türkische Staatsbürgerschaft nicht aufgeben. “Ich soll Steuern zahlen. Ich bin ein Vorbild. Unsere Unternehmen sind gut aufgestellt.” Öztürk ärgert sich, dass sie trotz allem nicht wählen darf. Sie hofft durch das Business-Netzwerk stärker nach außen deutlich zu machen: “Wir sind Migrantinnen, wir sind aber auch Geschäftsfrauen. Wir sind hier angekommen, und wir sind auch Vorbilder.” Tülay Polat sitzt neben Öztürk und nickt. Hinter ihnen räumen Kellnerinnen den Seminarraum auf. Ein paar Frauen stehen noch zusammen, reden, tauschen mit der Workshopleiterin Visitenkarten aus. Es ist schwierig, die Frauen zu einem solchen Abend zusammenzubekommen. “Migrantinnen sind nicht an solche Netzwerke gewöhnt.” Sie suchten eher im eigenen Umkreis und in der Familie nach Rat und Unterstützung. Nicht ohne Folgen: Auch wenn Ausländerinnen häufiger Unternehmen gründen als deutsche Frauen, sie sind doppelt so oft von Schließungen betroffen. Gerade mal ein Drittel der Frauen sucht in der Gründungsphase Beratung in öffentlichen Stellen.

An Beratung hat es Tülay Polat bei ihrem ersten Gründungsversuch nicht gefehlt. An Krediten hingegen schon, obwohl sie einen deutschen Pass hat. Wählen geht sie auch. Doch im Wahlkampf fühlt sie sich von den Parteien nicht angesprochen: “Ich bin schon froh, dass dieses Mal das Migrationsthema nicht wieder aus der Schublade geholt wird.” Mehr Aufklärung und Zwischentöne wünscht sie sich, wenn es um Einwanderer geht: “Nicht jede angebahnte Ehe ist eine Zwangsheirat.” Durch das Netzwerk, so hoffen Polat und Öztürk, könnten sie stärker meinungsbildend wirken. Schließlich seien sie alle Positivbeispiele für gelungene Migration. So wie Gül Alp, die es allerdings erst ein einziges Mal zu einem der Business-Frühstücke von “Petek” geschafft hat. Sie ist einfach zu beschäftigt mit ihrem Hochzeitsgeschäft. Und die Arbeit zahlt sich aus. Traditionell zahlt der Schwiegervater für türkische Mädchen die Hochzeit, das Kleid und den Goldschmuck. Für die zukünftigen Frauen ihrer Söhne hat Gül Alp schon einen Tresor voller Goldschmuck gesammelt – und auch ihre Töchter kann sie bei der Hochzeit reich beschenken.

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Jamaika lässt die Grünen blass aussehen http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/jamaika-lasst-die-grunen-blass-aussehen/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=jamaika-lasst-die-grunen-blass-aussehen http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/jamaika-lasst-die-grunen-blass-aussehen/#comments Mon, 07 Sep 2009 14:34:56 +0000 Lu Yen Roloff, Ute Zauft http://www.wahlfahrt09.de/?p=2888 Wiesbaden_jamaika-4

Foto: Milos Djuric

Erschienen am 17. September auf Spiegel Online

WIESBADEN. Darf’s ein bisschen exotischer sein? Das Saarland könnte bald die erste Jamaika-Koalition auf Landesebene bekommen. Im Wiesbadener Rathaus regiert Schwarz-Gelb-Grün bereits seit 2006. Zu kämpfen haben damit vor allem die Grünen.

Zwischen grünen Luftballons und Kisten mit Waldmeisterbrausetüten macht der Junggrüne Daniel Herwig in der Wiesbadener Fußgängerzone Wahlkampf – und gerät dabei zwischen die Fronten. „Was sagst Du den zur EBS?“ wirft ihm ein grauhaariger Mann mit Rucksack entgegen.

Plötzlich muss Herwig seine Partei gegenüber seinem ehemaligen Sportlehrer verteidigen. Im Stadtparlament haben die Grünen mit ihren Jamaikapartnern dafür gestimmt, ein ehemaliges Gerichtsgebäude mit zehn Millionen Euro zu sanieren, damit dort die European Business School, kurz EBS, einziehen kann. Die EBS macht Wiesbaden zur Universitätsstadt, ist aber auch eine Privatuniversität mit Studiengebühren von 13000 Euro pro Jahr. „Es ist nicht Aufgabe staatlicher Bildungspolitik, versnobbte Manager auszubilden“, empört sich der Lehrer. Er ist selbst seit 1993 bei den Grünen, nun aber enttäuscht über die grüne Fraktion im Stadtparlament, die seiner Meinung nach keine grüne Politik macht. Und überhaupt, gegen das geplante Kohlekraftwerk habe sie sich auch nicht stark genug positioniert.

Wiesbaden ist eine von sechs Kommunen, die den Versuch einer Jamaika-Koalition gewagt haben. Taugt das Beispiel Jamaika für Land oder Bund? Bislang hat es die Zusammenarbeit von CDU, Grünen und FDP noch nie über die kommunale Ebene hinausgeschafft.

Meist sind es die Grünen, die eine Koalition mit ihrem größten politischen Gegner, der FDP, ausschließen. In Frankfurt am Main zerbrach eine bereits ausgehandelte Koalition im Jahr 2001 nach nur einem Tag. Auch im hessischen Wiesbaden startete Schwarz-Gelb-Grün nur deswegen, weil sich SPD und CDU als ursprüngliche Koalitionsaspiranten während der Verhandlungen entzweit hatten. Hier hat die CDU mit 29 Mandaten eine klare Machtposition gegenüber ihren Koalitionspartnern: Die Grünen besitzen zehn Mandate, die FDP sieben.

Massenaustritt bei den Jungen Grünen

Die Ansiedlung der European Business School in Wiesbaden gilt als Prestigeprojekt des Oberbürgermeisters Helmut Müller. Der CDU-Mann ist zwar von den Wiesbadenern direkt gewählt, doch weiß er mit der CDU-geführten Koalition im Stadtparlament eine starke Mehrheit hinter sich. Die Koalition laufe prima, sagt er. „Alle wollen, dass sich die Hochschule in Wiesbaden ansiedelt, damit wir ein Wissenschaftsstandort werden.“

Viele Grüne an der Basis sehen das anders: Nachdem die Fraktion trotz Mitgliederentscheid für die Sanierung des EBS-Gebäudes mit städtischem Geld gestimmt hatte, trat mehr als die Hälfte der Wiesbadener jungen Grünen aus der Jugendorganisation der Partei aus. Ihr Vorwurf: Statt öffentliche Schulen zu sanieren, stütze man teure Privatunis. Auch der Junggrüne Herwig sagt, die grüne Fraktion vertrete ihre Positionen innerhalb der Koalition bisweilen nicht selbstbewusst genug – aus Angst vor einem Koalitionsbruch.

Die Wiesbadener haben ihre eigenen Meinungen zu der Koalitionsdisziplin der Grünen. Zwischen den Wahlkampfständen steht Rentner Herbert Müller – und spricht aus, was viele über die Grünen denken: „Die Grünen haben sich entlarvt: Wenn es um die Macht geht, dann wird verkleistert.“ Jamaika sei ein reines Zweckbündnis von Individuen, die sich gut bezahlte Posten sichern wollten. Für den ehemaligen Verwaltungsangestellten Müller ist die Sache klar: „Dabei kommt etwas raus, was nicht Fisch und nicht Fleisch ist – was die Grünen unter Jamaika machen, kann niemals grüne Politik sein.“

Streit ums Kohlekraftwerk

Noch deutlicher werden die Schwierigkeiten von Jamaika, wenn es um das geplantes Kohlekraftwerk geht. Das Kraftwerk, das der lokale Energieerzeuger bauen will, widerspricht der grünen Forderung nach einer nachhaltigen Energiepolitik. Im Koalitionsvertrag steht allerdings nur, dass die Koalition den Bau des Kraftwerks „kritisch“ sehe. An diesem Punkt sagt selbst der sonst loyale Junggrüne Herwig: „Das klingt für mich wie ausgeklammert.“ Tatsächlich rächte sich die vage Formulierung, als der Bau 2007 akut wurde: Die Bürger gingen auf die Straße, in der Stadt gründete sich ein Bündnis gegen das Kraftwerk, und die grüne Parteibasis forderte die Fraktion zum Handeln auf: Unter Führung der Fraktion solle das Stadtparlament den Vorstand des Energieerzeugers zum Baustopp auffordern. Trotz Veto von FDP und CDU brachten die Grünen den Antrag ein und gewannen dafür eine Mehrheit außerhalb der Koalition. Jamaika drohte zu zerbrechen.

In der Konfrontation mit Jamaika kann die SPD mit einer starken Oppositionspolitik punkten. Im Gegensatz zu den Grünen konnten sie sowohl gegen das Kohlekraftwerk als auch gegen die Sanierung des Gerichtsgebäudes für die Privatuni klar Position ergreifen. „Die SPD hat nichts dagegen, wenn Grüne und FDP sich streiten“, sagt Christoph Manjura. Er ist jugendpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Rathaus. Am Wahlkampfstand verteilt er wie seine Genossen Kugelschreiber und Flyer an vorbeischlendernde Passanten. Die SPD freut sich über den Zwist in der Koalition, hört man auch von anderen am Stand: Ließe sich doch jeder Kompromiss in der Koalition sowohl gegen die Einen wie die Anderen verwenden.

Atmosphärische Störungen

Beim CDU-Stand will man vom Stunk mit der grünen Fraktion dagegen zunächst nichts wissen. Karsten Koch, Sprecher für Planung, Bau und Verkehr, lobt sogar den Verkehrssprecher der Grünen als „verlässlichen Mann“: „Es läuft inhaltlich gut, wir können ordentlich was vorweisen“, sagt er. Man habe „überraschende Gemeinsamkeiten“ festgestellt, die auch auf Bundesebene bestünden: Etwa den Schutz des ungeborenen Lebens und die Bewahrung der Schöpfung vor Gentechnik. Da lägen christlicher Hintergrund und grüne Ansichten nah beieinander. Gut, es gebe gewisse „atmosphärische Störungen“ bei den Grünen, fügt er dann hinzu. „Man bekommt mit, dass Jamaika für die Fraktion eine große Zerreißprobe ist. Wir hoffen, dass die Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode hält.“

Im Streit um den Grünen-Antrag zum Kohlkraftwerk konnte die Koalition gerade noch dadurch gerettet werden, dass der Bürgermeister den außerkoalitionären Beschluss als rechtswidrig ablehnte: Das Parlament könne nicht in die geschäftlichen Entscheidungen des Energieerzeugers eingreifen. Aufgrund der Wirtschaftskrise hat der Energieerzeuger inzwischen Schwierigkeiten, den Bau des Kohlekraftwerks zu finanzieren. Ob das Kohlekraftwerk kommt, ist derzeit offen, doch der Konflikt bleibt ungelöst.

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Energieversorgung in Eigenregie http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/energieversorgung-in-eigenregie/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=energieversorgung-in-eigenregie http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/energieversorgung-in-eigenregie/#comments Thu, 03 Sep 2009 06:45:32 +0000 Paula Scheidt http://www.wahlfahrt09.de/?p=2751 SCHÖNAU. In Schönau im Schwarzwald ist vom Wahlkampf nichts zu spüren. Warum auch? Die Schönauer haben ihr Anliegen längst selbst in die Hand genommen: Sie haben eine Genossenschaft gegründet, das Stromnetz gekauft und versorgen sich und ihre Kunden deutschlandweit mit Ökostrom. Nun soll das Erfolgsrezept auch auf den Gasmarkt ausgeweitet werden. Umweltfreundlich und nachhaltig ist das nicht – aber strategisch schlau.

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[Foto: Milos Djuric]

“Die Chance wollten wir uns nicht entgehen lassen”, sagt Ursula Sladek. Spontane Besucher empfängt die Geschäftsführerin der Elektrizitätswerke Schönau (EWS) unter einem alten Scheunendach mit Blick auf den Schwarzwald. Rechterhand liegt das Büro, linkerhand das Wohnhaus der Sladeks. Eine Trennung zwischen Beruf und Privatleben gibt es kaum, denn auch Sladeks Ehemann und ihr Sohn arbeiten bei den EWS. In Schönau kennt die Familie jeder. Viele Schönauer arbeiten bei den Energiewerken, viele “EWS-ler” engagieren sich in der Lokalpolitik. Als vor einem Jahr das regionale Gasnetz zum Verkauf ausgeschrieben wurde, bewarben die EWS sich und bekamen den Zuschlag. Ab dem ersten Oktober betreiben sie das Netz.

“Und wenn wir schon das Netz haben, sollten wir auch das Produkt anbieten”, sagt Sladek. Man sieht der kleinen, zierlichen Frau mit dem grauen Schopf ihre 63 Jahre nicht an. Sie wirkt ausgeglichen und entspannt, nicht unbedingt wie eine viel beschäftigte Unternehmerin. Aber das trügt, die EWS erweitert nämlich gerade ihr Angebot: Ab November können Kunden in ganz Baden-Württemberg neben Strom auch Gas von den EWS beziehen – 100-prozentiges Erdgas.

Öko ist daran nichts. “Natürlich ist Erdgas nichts Ökologisches”, bestätigt Martin Halm. Er ist zweiter Geschäftsführer von EWS Schönau und gleichzeitig stellvertretender Bürgermeister des Ortes. Aber man müsse eben auch wirtschaftlich denken und mit dem neuen Angebot sei die EWS wettbewerbsfähig. In der Email, die vor einer Woche an die Kunden verschickt worden ist, wird auf den stetig härter werdenden Wettbewerb im Energiesektor verwiesen. Deshalb müsse man neue Geschäftsfelder erschließen. Außerdem komme man mit dem neuen Angebot einen lang gehegten Kundenwunsch nach. Viele Kunden wollten Strom und Gas vom gleichen Anbieter beziehen, weil das einfacher sei.

In Schönau bezieht so gut wie jeder seinen Strom von der EWS. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 wollten die Schönauer nicht warten, bis die Politiker etwas unternehmen würden. Sie berieten sich gegenseitig beim Stromsparen, investierten in Solarenergie und Wasserkraft, gründeten eine Genossenschaft und kauften schließlich das lokale Stromnetz. Seit 1998 bieten die EWS deutschlandweit Ökostrom an und sind dafür vielfach ausgezeichnet worden. Noch immer identifizieren sich die Schönauer stark mit den EWS, die Sladeks sind sehr beliebt, weil sie “trotz des Erfolgs so nett geblieben” seien, wie die Metzgereiverkäuferin Veronika Ulrich zusammenfasst. Dass Halm als EWS-Geschäftsführer zum stellvertretenden Bürgermeister gewählt worden ist, zeigt: Für die Schönauer sind beide Interessen bestens vereinbar. Vom Kirchturm aus sieht man auf zahlreichen Dächern Photovoltaikanlagen in der Sonne schimmern.

Biogas als Wahlkampfthema

Es steht zwar Biogas drauf, drinnen ist aber nur Luft: Die Gaskugel neben dem EWS-Büro ist ein Überbleibsel vom letzten Faschings-Umzug.

[Foto: Milos Djuric]

Nun wollen die Schönauer auch ihre Gasversorgung selbst in die Hand nehmen. Warum also nicht auch da auf Nachhaltigkeit setzen? Biogas statt Erdgas wäre schließlich kein neues Modell im Energiesektor. Und es hat prominente Befürworter, darunter Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU). “Die Einspeisung von Biogas in das Erdgasnetz würde die Effizienz von Biogasanlagen wesentlich optimieren”, sagte die Ministerin vor kurzem bei einem Rundgang durch das Deutsche Biomasseforschungszentrum in Leipzig.

“Überraschend und bedauerlich” findet Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher von Bündnis90/Die Grünen und Mitglied des Bundestags, dass die EWS zunächst nur Erdgas anbieten. Es sei nicht sinnvoll, weiterhin in fossile Energien zu investieren. Er fordert derzeit auf seiner Wahlkampftour ein neues Biogas-Einspeisegesetz, das die Einspeisung von Biogas ins Gasnetz sogar vorschreiben soll. “Nur durch gesetzliche Rahmenbedingungen kann Biogas wettbewerbsfähig werden”, sagt Fell.

Aber die Realität ist komplizierter, als es den Politikern lieb sein kann. “Auf keinen Fall verurteilen” möchte Andre Böhling, Energie-Experte bei Greenpeace, den Einstieg von EWS in den Gasmarkt. “Es ist klar, dass wir jetzt noch nicht vollständig auf erneuerbare Energien umstellen können. Das dauert noch mindestens 30 Jahre”, sagt er. Erdgas sei eine Brückentechnologie. Zum Heizen brauche man Erdgas noch eine ganze Weile und immerhin sei es klimafreundlicher als Kohle und Erdöl.

Ökologisch fundierte Kritik an Biogas

“Wir planen eine Strategie in Richtung Biogas”, sagt Michael Sladek, Ehemann von Ursula Sladek und Mitgründer der EWS, mit seinem weißen Rauschebart ist er schon von weitem sofort erkennbar. Nur: Nicht alles Biogas sei nachhaltig. Gas aus genmanipuliertem Mais oder den Abfallprodukten einer Massentierhaltung findet Sladek umweltschädlicher als Erdgas. “Sehr gut fände ich Biogas aus Gras, weil es wirklich nachhaltig ist”, sagt er. Das kann bisher aber nur in geringen Mengen gewonnen werden.

Als Experten für erneuerbare Energie sind er und seine Frau inzwischen deutschlandweit bekannt, in der Gegend um Schönau sind sie Helden. Erst vor wenigen Tagen moderierte Michael Sladek anlässlich der Bundestagwahl eine Podiumsdiskussion zur Zukunft der Energieversorgung. Auf dem Podium saßen die Direktkandidaten des Wahlkreises. Alle Stühle waren bis auf den letzen Platz besetzt. “Komisch, dass ich hier moderieren darf, wo ich doch so parteiisch bin”, wunderte sich Sladek mit einem Augenzwinkern. Die Zuhörer schienen sich daran nicht zu stören. So viel Beifall wie der EWS-Mitgründer erntete keiner der Politiker.

Manche EWS-Kunden wollen bewusst kein Biogas haben. Einer der größten Kunden ist die Firma Rittersport. Sie bezieht seit Anfang 2009 neben Ökostrom auch Gas von der EWS – und will explizit Erdgas. “Biogas widerspricht unseren Grundsätzen”, heißt es beim Schokoladenhersteller. Der Grund: Als Lebensmittelhersteller wolle man keine Energie nutzen, die aus Nahrungs- oder Futtermitteln hergestellt werde.

Kampf gegen das Gas-Monopol

Andere Kunden irritiert das neue Angebot. Der zweite Geschäftsführer Halm berichtet: “Es gibt schon Leute, die uns fragen: Warum denn Erdgas, das ist doch gar nicht ökologisch?” Eine sinnvolle Antwort kann auch er nicht darauf geben. Auf dem Strommarkt ist klar, was ökologisch bedeutet. Auf dem Gasmarkt ist es umso schwieriger.

Dennoch könnte das Gasangebot der EWS eine Chance sein – zum Aufbrechen der verkrusteten Strukturen auf dem Gasmarkt. Denn trotz Liberalisierung befindet sich die Gasversorgung immer noch in der Hand weniger großer Anbieter. “Indem sich die EWS in das Gasnetz eingekauft hat, leistet sie einen Beitrag zur Überwindung der Monopolstrukturen. Als Netzbetreiber können sie nun auf dem Gasmarkt mitbestimmen”, sagt Fell.

Nachhaltig ist das Gas-Angebot von EWS nur insofern, als dass die Kunden einen so genannten Sonnencent bezahlen: Je nach Tarif enthält der Gaspreis einen Förderanteil zwischen 0,01 und 0,1 Cent pro Kilowattstunde. Mit dem Geld wird weiter geforscht werden, wie man nachhaltiges Biogas in großen Mengen herstellen kann. Wann der Zeitpunkt gekommen ist, dem Erdgas Biogas beizumischen, werden die Schönauer nach eigenem Ermessen entscheiden – Biogas-Einspeisegesetz hin oder her. Sie führen bereits Gespräche mit Bauern in der Umgebung, die große Wiesen bewirtschaften.

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[Foto: Milos Djuric]

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“Die Flughafenlobby schreibt sich die Gesetze selbst” http://www.wahlfahrt09.de/orte/%e2%80%9cdie-flughafenlobby-schreibt-sich-die-gesetze-selbst%e2%80%9d/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=%25e2%2580%259cdie-flughafenlobby-schreibt-sich-die-gesetze-selbst%25e2%2580%259d http://www.wahlfahrt09.de/orte/%e2%80%9cdie-flughafenlobby-schreibt-sich-die-gesetze-selbst%e2%80%9d/#comments Wed, 02 Sep 2009 10:00:33 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=1780 Erding_Flughafen-2

Foto: Milos Djuric

ERDING. Martin Eibl (48) steht im Garten seines Einfamilienhauses am Ortsrand von Berglern. Gleich hinter dem Garten beginnen die Felder. Vögel zwitschern, es könnte ein Idyll sein. Dann durchschneidet Flugzeuglärm die Luft und Eibl muss seine Stimme kurz heben. Nur zwei Kilometer von seinem Haus entfernt führt die Einflugschneise vom Flughafen Franz Josef Strauß entlang. Auch aus diesem Grund ist der Elektroingenieur Mitbegründer der Bürgerinitative Berglern, die sich gegen den geplanten Ausbau der dritten Start- und Landebahn wehrt:

„Momentan fliegen die Flugzeuge in ca. 800 m Höhe über den südlichen Ortsteil. Die Bevölkerung ist durch den Fluglärm schon sehr belastet. Wenn die neue Landebahn kommt, wird eine weitere Einflugschneise den Ort mit Lärm überfluten. Die Flugzeuge werden dann in nur ca. 300 m Höhe über unser Zentrum mit Kindergärten, Schule und Kirche donnern.“

Die Gemeinden im Kreis Erding sind wohlhabend, viele ansässige Unternehmen profitieren von der internationalen Anbindung an den Geschäftsverkehr. Deswegen habe sich die Bevölkerung von Berglern mit dem Flughafen arrangiert, aber:

„Die Bevölkerung von Berglern wehrt sich gegen den zügellosen Ausbau. Der Flughafen hat eine Kapazität von mindestens ca. 55. Mio Passagieren und ist derzeit erst zu etwa 60 % ausgelastet. Der Ausbau ist nur den Expansionsplänen der Lufthansa geschuldet, die ihren Flugverkehr immer mehr in München zentralisieren will – obwohl es im Einzugsgebiet München gar nicht genug Fluggäste gibt.“

Ihre Hauptgegner sehen die Mitglieder der Bürgerinitiativen gegen die dritte Start- und Landebahn in den Lobbygruppen großer Fluggesellschaften wie der Lufthansa.

„Die Ministerien holen Flugunternehmen und Flughafenbetreiber als Sachverständige für die Erarbeitung von Gesetzen und Verordnungen. Die Lobbyisten von der FMG (Flughafen München GmbH) und der Fraport (Frankfurt) sitzen direkt mit im Ministerium und machen die Politik, die uns am Ende betrifft. Die Luftfahrt schreibt also seit Jahren ihre Gesetze selbst. Die betroffenen Gemeinden und ihre Bevölkerung bleiben außen vor.“

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Foto: Milos Djuric

Der Lärm vom Flughafen sei schlafstörend, sagt Eibl. Doch das Lärmschutzgesetz schütze nicht die Bewohner von Berglern, sondern in Wirklichkeit die Fluggesellschaften selbst.

„Beispielsweise wird der Durchschnittslärm als Maß für die Betroffenheit über einen bestimmten Zeitraum ermittelt und daraus der so genannte Dauerschallpegel gebildet. Aber so ein Dauerschallpegel nützt ihnen wenig, wenn eine große A 340-Maschine startet und übers Dorf fliegt, dann ist Schicht. Da können sie Mittelwerte bilden, soviel sie wollen, wenn sie nachts aus dem Bett geworfen werden.“

Eibl vermisst auch die Transparenz in den politischen Entscheidungsprozessen rund um den Flughafen. Von vornherein sei die Bevölkerung bei den Plänen rund um den Flughafen im Unklaren gelassen worden.

„Das Problem ist, dass 1993 der Flughafen München II als Ersatzflughafen für den Flughafen München-Riem in Betrieb genommen wurde. Nach 10 Jahren sagten die Politiker dann auf einmal, dass es kein Ersatzflughafen mehr sein soll, sondern ein Drehkreuz für den internationalen Flugverkehr. Wir betroffenen Bürger wurden über Jahre nicht richtig informiert.
Der Freistaat Bayern ist mit 51 % Hauptgesellschafter der FMG und für die wirtschaftliche Entwicklung verantwortlich. Gleichzeitig soll die Regierung von Oberbayern als Verwaltungsorgan des Freistaates beurteilen, ob die die Ausbaupläne genehmigungsfähig sind. Die so genannte Demokratie verkommt da zum Treppenwitz. Wir werden systematisch von der Politik für dumm verkauft und unsere Gesundheit und Heimat den wirtschaftlichen Interessen der Luftfahrtindustrie, vor allem der Lufthansa, untergeordnet.“

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Foto: Milos Djuric


Das Argument des Geschäftsführers der FMG Michael Kerkloh, dass durch den Flughafenausbau mehr Arbeitsplätze geschaffen würden, läßt Eibl nicht gelten:

„Die Flughafenlobby legt den Politikern nahe, dass sonst die Arbeitsplätze verschwinden. Das Gegenteil ist aber der Fall. Die FMG möchte immer mehr Verkehr in München konzentrieren. Insgesamt ist der Flugverkehr rückläufig und durch die Zentralisierung gehen immer mehr Arbeitsplätze verloren. Zum Einen verschwinden die Arbeitsplätze kleiner Fluggesellschaften, die von der Lufthansa aufgekauft werden, etwa bei der Air Dolomiti oder der Austrian.
Dazu kommt, dass die Arbeitsplätze, die entstehen, Billigjobs sind. Die FMG versucht seit einigen Jahren die Bodenverkehrsdienste zu privatisieren, weil die Kosten zu hoch sind. Privatisieren heißt in diesem Fall die Personalkosten senken. Die Leute können mit ihrer Arbeit ihre Lebenshaltungskosten nicht mehr bestreiten. Was wiederum bedeutet, dass sie zusätzliche Unterstützung durch den Staat benötigen, bzw. von weit her pendeln müssen und viele Pendler bedeuten noch mehr Verkehr und noch mehr Belastung.“

Die politischen Konsequenzen sind für den Gemeinderat Eibl klar:

„Ich glaube nicht, dass hier bei der Bundestagswahl viele Leute zur Wahl gehen werden. Die CSU hat das im letzten Jahr sehr zu spüren bekommen, dass sie von den umliegenden Gemeinden des Flughafens abgestraft worden ist. Ich sitze selbst im Gemeinderat, deswegen werde ich wohl wählen müssen, aber ich weiß wirklich momentan nicht, wen ich da wählen soll.

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Aufbau Ost, Abbau West http://www.wahlfahrt09.de/orte/aufbau-ost-abbau-west/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=aufbau-ost-abbau-west http://www.wahlfahrt09.de/orte/aufbau-ost-abbau-west/#comments Fri, 21 Aug 2009 15:45:05 +0000 Thomas Trappe http://www.wahlfahrt09.de/?p=1539

Ein Handwerker nach getaner Arbeit.

Foto: Milos Djuric

HOF. Die Menschen in Hof fühlen sich als Verlierer der Wende. Die Zonenrandförderung ist weggebrochen, statt dessen fließt das Geld nun zu den Nachbarn in Sachsen und Thüringen. Heimische Unternehmer verlieren seitdem Aufträge, nicht wenige sind deswegen wütend. Nun fürchten sie auch noch die neue Konkurrenz aus Tschechien und Polen. Eine Momentaufnahme von Thomas Trappe.

HOF. Ruhig treten die Männer vom Zoll an die Arbeiter, offenbar Ausländer. Die beiden Fensterputzer zeigen ihre Arbeitsgenehmigung, die Polizisten geben die Daten durch. Ein paar Minuten dauert das Ganze, dann ist wieder Ruhe. Routine eben.

Hof ist Grenzstadt, ehemaliges Dreiländereck. Bis 1990 war hier die innerdeutsche „Zonengrenze“. Nach Ende der DDR blieb nur noch die eine Grenze zu Tschechien. Und auch diese wird durch EU und Schengen langsam bedeutungslos. Schwarzarbeit mag ein Problem in Hof sein, viel mehr beäugen die Arbeitnehmer hier aber die legale Konkurrenz. Sie kommt mit niedrigeren Löhnen aus dem nahen Sachsen und Thüringen, sie wird bald zusätzlich aus Tschechien und Polen kommen, davon gehen hier viele aus.

Der Mauerfall bedeutete für die 50.000-Einwohner-Stadt seinerzeit Boomjahre. Scharenweise kamen die neuen Bundesbürger in die Stadt, kauften buchstäblich die Schaufenster leer. Daran erinnert sich Michael Schmidt sehr gut. Er ist Handwerksmeister mit eigenem Sanitärfachgeschäft in Hof, eines der Größten in der Stadt. Der Endvierziger weiß noch sehr genau, wie die Ostdeutschen damals kamen, Ladenbesitzer Mühe hatten, die Lager wieder schnell genug aufzufüllen. „Es bestand ein ungeheurer Nachholbedarf“, sagt er. Der Kaufrausch hielt gut drei Jahre, so Schmidt. Danach konnte man auch im Osten ganz gut einkaufen.

In Hof folgte die Katerstimmung, die bis heute nicht verflogen ist. Denn statt zum Shoppen kamen die Ostdeutschen nun zum Arbeiten. Einheimische Handwerker verloren Aufträge, weil sie mit den Preisen der Konkurrenz nicht mithalten konnten. „Es gibt dieses massive Lohngefälle von Ost nach West immer noch“, sagt Schmidt, das mache sich in den Preisen der Handwerker bemerkbar. Viele Hofer sparten auch heute noch Geld, indem sie Aufträge an die Nachbarn im Osten vergäben. Auch öffentliche Ausschreibungen würden überproportional häufig nach Sachsen und Thüringen vergeben.

“Die Investoren sind schon oft um fünf vor zwölf abgesprungen”

Christian Damm von der Hofer Industrie- und Handelskammer (IHK) ist oft dabei, wenn es in seiner Stadt darum geht, neue Investoren zu gewinnen. Deshalb kennt der ehemalige Bankdirektor auch die Situation, dass auf der grünen Wiese schon der erste Spatenstich besprochen wird, der Interessent es sich dann aber kurzfristig anders überlegt und in den neuen Bundesländern baut. „Wenn ein Betrieb in Hof 30 Prozent Förderung bekommt, kriegt er in Thüringen 50“, nennt Damm ein Beispiel. Bei vielen Ansiedlungsprojekten sei man in der Stadt „schon oft bei fünf vor zwölf gewesen, dann ist der Investor abgesprungen, weil er ein paar Kilometer weiter mehr finanzielle Unterstützung bekommen hat“, sagt er.

Dem Lohngefälle West-Ost steht also ein Fördergefälle Ost-West gegenüber. Handwerker, die Lohnkosten sparen, bekommen oben drauf auch noch mehr Unterstützung vom Staat, so kommt das hier an in der Stadt. Dass „man sich da benachteiligt fühlt“, sei da ganz klar, sagt Schmidt.

Vor der Wende gab es in Hof noch die „Zonenrandförderung“, damit sollte der Verlust des Absatzgebietes in Mitteldeutschland ausgeglichen werden. Das Geld fließt seitdem in die Nachbargemeinden in Sachsen und Thüringen. Die Unternehmen hier haben „auf jeden Fall Geld verloren durch den Aufbau Ost“, sagt Damm. Logisch, „dass da manchmal Ärger aufkommt“.

Etwas handfester wird das Stimmungsbild, hört man sich etwas in der Stadt um. „Es kommt einem die Galle hoch, wenn so ein Ossi herkommt und alles besser weiß“, sagt ein Handwerker, die um ihn versammelten Kollegen nicken, sie sehen das ganz ähnlich. Erst vor kurzem habe ihm ein sächsischer Kollege eine Tür geliefert, „vor’s Geschäft geknallt, und weg war er. Das hätte sich von uns keiner getraut“, meint er. Der Mann, der einen Allround-Dienstleistungsbetrieb leitet, möchte seinen Namen nicht nennen. Er hat sich nach eigener Aussage aber inzwischen mit den Nachbarn irgendwie arrangiert, um nicht zu sagen: Abgefunden.

“Als Ostdeutscher muss man hier vorsichtig sein”

Nicht nur die Hofer Unternehmen sehen negative Folgen der Wiedervereinigung, sondern auch die einheimischen Arbeitnehmer. Schließlich gibt es knapp 3000 Pendler aus dem Osten, die hier arbeiten, in die Gegenrichtung fährt kaum jemand. Vor allem im Einzelhandel sind Ostdeutsche als Arbeitskräfte gefragt, da sie auch im Westen nur nach Osttarif gezahlt werden müssen. “Außerdem sind wir eher bereit, auch mal am Sonntag zu arbeiten oder Überstunden zu machen“, meint Steve aus dem sächsischen Plauen. Steve ist 29 Jahre alt und arbeitet seit kurzem als Maler in Hof. Seinen Nachnamen behält er lieber für sich. „Man muss hier als Ostdeutscher einfach vorsichtig sein, dass man nichts Falsches sagt“, meint er.

Roland Hetzel zeichnet eine Treppenstufe in die Luft, wenn er das Fördergefälle zwischen Hof und der ehemaligen Grenze darstellen will. Viel zu spürbar sei der Unterschied, „das müsste fließender geschehen“, sagt der Hofer Unternehmensberater, der schon einige Handwerker in Oberfranken in die Selbstständigkeit begleitet hat. Er weiß, dass vielen Oberfranken der Aufbau Ost zu sehr zu Lasten des nahen Westens geht. „Die Politiker sehen eben einfach nur auf die Landkarte und fällen dann aus der Ferne ihre Entscheidung“, sagt er. Was das beim Aufbau Ost für Städte wie Hof bedeutet, werde dabei leider übersehen.

„Politiker gehören nicht immer zur denkenden Elite“, sagt Hetzel dann auch nur halb im Scherz. Seine Meinung ist keine Rarität in der Stadt. Der Vorwurf, die Politiker verstünden nicht, was in Hof los ist, kommt nur selten ohne den zusätzlichen Hinweis, dass sie „weit weg“ seien. Zwischen Hof und München liegt ein ganzer Freistaat, von Berlin braucht man gar nicht zu reden. Dass gegen die Aufbau-Ost-Politik des Bundes von Landespolitikern nur wenig entgegengesetzt werde, verwundert aus dieser Perspektive freilich nicht. Es ist nicht unbedingt Politikverdrossenheit, die einem hier begegnet. Eher das Gefühl, dass man sich als Hofer besser erst mal selbst kümmern sollte.

Angst vor der Öffnung der Grenzen nach Tschechien und Polen

Und nun also auch noch Tschechien und Polen. Die absehbare Öffnung der Grenzen nach Deutschland auch für Handwerker „macht insgesamt Angst“, räumt Unternehmensberater Hetzel ein. Er geht davon aus, dass viele große Aufträge bald in die Nachbarstaaten gehen, „da spart man schon mal bis zu 20 Prozent“. Und der Hofer Allround-Handwerker, der seinen Namen nicht nennen will, fragt nur, was „die denn hier wollen?“. Er meint die Tschechen und Polen.

Insgesamt geben sich die Unternehmer in Hof aber noch selbstbewusst. Handwerksmeister Schmidt ist sicher, dass Hofer kaum Aufträge ins nahe Ausland vergeben werden, schlicht, weil sie „bei uns“ bessere Qualität geliefert bekämen. Auch Christian Damm von der IHK setzt auf einen Qualitätsvorsprung in Deutschland, der vor allem auf einer bessere technischen Ausrüstung beruhe. Die bedeutungsloser werdende Grenze habe vielmehr Vorteile, da die Hofer Handwerker so an neue Kunden kämen, meint er.

Doch nicht jeder glaubt in der Stadt an die Stärke des Hofer Handwerks oder an die Schwäche der polnischen und tschechischen Konkurrenz. Unternehmensberater Hetzel ist sicher, dass der technische Vorsprung der Hofer Unternehmen bald von den Nachbarn aufgeholt ist. „Die Lohndifferenz wird dagegen wohl noch länger bestehen.“

Die Menschen aus Hof erwarten die nächste offene Grenze mit gemischten Gefühlen.

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“Es gibt keine einfachen Lösungen” http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/es-gibt-keine-einfachen-losungen/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=es-gibt-keine-einfachen-losungen http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/es-gibt-keine-einfachen-losungen/#comments Tue, 18 Aug 2009 13:59:48 +0000 Lena Gürtler http://www.wahlfahrt09.de/?p=1218 HALLE. Manchmal genügt es, nur aus dem Wahlfahrt09-Bauwagen zu steigen, um dabei zu sein: Pressetermin auf dem Hallenser Marktplatz. Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados (SPD) präsentiert ihr neuestes Projekt. Seit 19 Jahren arbeitet sie als Bürgermeisterin in Halle, 2007 wählten sie die Hallenser zur Oberbürgermeisterin. Ihr Credo: Politik und Wirtschaft müssen zusammenarbeiten.



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