Wahlfahrt09 » Wahlmüdigkeit http://www.wahlfahrt09.de Mon, 03 May 2010 15:28:35 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.2.1 Ohne mich http://www.wahlfahrt09.de/orte/landkreis-im-demokratischen-vorruhestand/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=landkreis-im-demokratischen-vorruhestand http://www.wahlfahrt09.de/orte/landkreis-im-demokratischen-vorruhestand/#comments Sun, 27 Sep 2009 21:25:09 +0000 Daniel Stender http://www.wahlfahrt09.de/?p=3514 BÖRDE. Im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt blieben 2005 mehr Wähler zuhause als sonst wo in Deutschland: 32 Prozent gingen nicht zur Wahl – aus Langeweile, Politikverdrossenheit, Protest und Verpeiltheit. Auch 2009 gibt es viele Wahlberechtigte, die nicht wählen wollen. Fünf Begegnungen mit Nichtwählern in der Kreisstadt Haldensleben.

Nein, er wird nicht wählen gehen, erklärt der gepflegte ältere Herr, der seinen Pudel zwischen den Reihenhäusern von Haldensleben spazieren führt. Er schickt sich an zu gehen – doch dann bricht es plötzlich aus ihm hervor: „Dieser Verbrecherstaat! Mit dem möchte ich nichts zu tun haben!“, schimpft er. „Von mir aus sollte man die Mauer wieder aufbauen!“ Zeternd zieht er von dannen – einer von vielen, die sich im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt in den demokratischen Vorruhestand verabschiedet haben. 2005 gab es hier mit 68 Prozent die bundesweit niedrigste Wahlbeteiligung. Und bei der Europawahl in diesem Jahr lag die Quote bei knapp 40 Prozent, weit über die Hälfte aller Wähler blieb also zu Haus. Und doch ist es auf den Straßen der Kreisstadt Haldensleben mehr als schwierig, einen Nichtwähler zu treffen, der bereit ist, seine Abstinenz zu erklären.

Bei 68% Wahlbeteiligung geht eben doch noch ein großer Teil der Bevölkerung zur Wahl. Und es scheint, als hätten die sich verabredet, um uns das vielfältige demokratische Haldensleben vorzuführen: Der freundliche Vater bei McDonalds, die ältere Dame am Wegesrand, der junge Mann, mit seinem aufgemotzten Auto, sie alle sind überzeugte Wähler, ausgestattet mit den besten Argumenten.

Aber wo sind sie dann, die Nichtwähler in Haldensleben? Warum wählen sie nicht? Und sind sie alle derart stereotyp-ostalgisch wie der Meckeropa mit dem Pudel?

„Ist doch egal, wen ich wähle“

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

„Politik interessiert mich herzlich wenig“, sagt die 18-Jährige Saskia Sperl, als wir sie nicht weit entfernt von den Reihenhäusern des Meckeropas treffen. Eigentlich ist sie die klassische Zielgruppe all der Kampagnen, die Jungwähler dazu bewegen wollen, die Bundestagwahl 2009 als ihr erstes Mal in Sachen aktiver Demokratie zu nutzen. Aber die Partei, die Saskia Sperls Interessen vertritt, müsste wohl noch gegründet werden: „Eine Partei wäre für mich dann wählbar, wenn sie Steuern, Praxisgebühr und hohe Benzinkosten abschaffen würde“, sagt sie. In der Schule hat sie mal ein Referat über die Grünen halten müssen: „Das war nicht so spannend, aber einiges war auch interessant“, erinnert sie sich. Generell ist sie der Meinung, dass sich durch Wahlen „eh nichts ändert. Ob ich wen wähle oder nicht, ist doch ganz egal.“ Für die angehende Bürokauffrau sind andere Sachen wichtiger: Am späten Samstagnachmittag ist sie gerade mit einer Freundin auf dem Weg in eine Eisdiele, am Sonntagmorgen will sie ausschlafen und den freien Tag genießen. Sagt sie und düst mit ihrem kleinen Auto davon.

„Im Grunde keine Wahl“

53 Jahre alt ist der Dachdecker, der am Rand einer malerischen Kleingartenanlage wohnt und gerade in seinem Hof vor sich hin werkelt. Seinen Namen möchte der Mann nicht nennen, auch will er nicht fotografiert werden. Nichtwählen scheint selbst in Haldensleben eine Sache zu sein, die man eher im Verborgenen tut: „Man wird schnell populär heutzutage“, sagt er skeptisch. Er will nicht wählen gehen, weil er der Meinung ist, dass er „im Grunde keine Wahl“ hat. Schließlich haben sich durch die Große Koalition beide Volksparteien einander inhaltlich angenähert; „Wähle ich die CDU, dann habe ich ein Übel, wähle ich SPD, dann habe ich es auch“, sagt er. Aber, betont er immer wieder, er sei kein unpolitischer Mensch, er informiere sich und habe sich seine Enthaltung gründlich überlegt: „Wenn ich am Wahlabend die Ergebnisse ansehe, dann habe ich ein ruhiges Gewissen. Denn egal, wer gewinnt, ich habe damit nichts zu tun.“

Drei große Fragezeichen auf dem Stimmzettel

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

Fernab der Schrebergartenidylle der Kreisstadt liegt die Hafenstraße – die Gegend hat in Haldensleben keinen guten Ruf. „Fragen Sie mal bei denen, die sich da hinter der Tankstelle an ihren Bierflaschen festhalten“, hören wir von den vielen engagierten Wählern und machen uns auf den Weg in die Schmuddelecke. Aber die Biertrinker hinter der Tankstelle wollen ihre Ruhe. Oder sie sind gar keine Nichtwähler. „NPD“, sagt einer und grinst. Wenige Schritte entfernt sieht Haldensleben schon wieder ganz anders aus: Im nahegelegenen Jugendclub findet ein Benefizkonzert statt, viele eher alternativ aussehende Jugendliche in Kapuzenpullovern treffen sich hier mit Freunden. Die 28-jährige Kate ist Sozialpädagogin, sie hat die Konzerte im Jugendclub mitorganisiert. „Ich sehe in dieser Parteienlandschaft für mich keine Alternative“, sagt sie. Daher will sie „drei große Fragezeichen“ auf ihren Stimmzettel malen und ihn so ungültig machen. „Aber meine Stimme wird so schon gezählt und kommt nicht der NPD oder irgendeiner radikalen Partei zugute“, erklärt sie. Kate geht also zur Wahl, aber nur, um ihrem Protest gegen die vorhandenen Wahlmöglichkeiten Ausdruck zu verleihen. In den letzten Jahren hat Kate an den Wahlen teilgenommen: „Irgendwann in meinem Leben werde ich schon mal wieder wählen gehen“, sagt sie. In diesem Jahr aber ist sie nur indirekt dabei.

Nicht wählen, weil unterwegs

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

„Wir sind zu Besuch bei unseren Schwiegereltern“, sagen B. Sonnabend und G. Bertram. Wir treffen das junge Paar (23 und 20 Jahre alt) mit ihrem neun Wochen alten Sohn vor einem Altersheim im Stadtteil Alt-Haldensleben, wo die Stadt langsam in die sanften Hügel der Bördelandschaft übergeht. Die beiden stammen aus Lehrte bei Hannover und können nicht wählen gehen, weil sie unterwegs sind. „Wir haben zwar die Unterlagen zur Briefwahl bekommen, aber ich habe die weggeworfen“, sagt B. Sonnabend – es habe eben niemand gewusst, fügt die junge Frau hinzu, dass sie ausgerechnet am 27. September nach Haldensleben fahren würden. Sonst wären sie mit Sicherheit zur Wahl gegangen. „Immerhin“, sagt G. Bertram, „die Schwiegereltern sind gerade unterwegs zum Wahllokal.“

„Politiker sind scheiße“

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

Vado Manuel darf an der Wahl gar nicht teilnehmen: Er hat keinen deutschen Pass. Wir treffen den 18-Jährigen vor dem Lidl im Industriegebiet von Haldensleben. Vado Manuel wartet hier mit seinem 17-jährigen Cousin, die beiden telefonieren, albern herum und verbreiten mit ihren weiten Baseball-Klamotten etwas Hip-Hop-Flair auf dem öden Parkplatz. „Politik sollte sich dafür einsetzen, dass auch Ausländer die gleichen Rechte haben wie Deutsche“, sagt Vado Manuel. Seit 16 Jahren wohnt Vado Manuel in Deutschland und hat noch immer keinen deutschen Pass, obwohl er zu seiner afrikanischen Heimat viel weniger Bezug hat als zu Deutschland. Zur Zeit macht er eine Ausbildung zum Koch – die Lehre macht Spaß, sagt er. Selbst wenn er an der Bundestagswahl teilnehmen könnte, würde er aber nicht mehr wählen gehen: „Politiker sind scheiße“, sagt er: „Die machen Versprechen, die sie nicht halten.“ Er hat lange gehofft, dass ihm die Politik einen Pass verschaffen würde. Nun würde er aber nicht mehr wählen gehen, selbst wenn er dürfte. Das erste Mal Demokratie fällt für ihn auf jeden Fall aus.

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Auf der Jagd nach den verlorenen Stimmen http://www.wahlfahrt09.de/orte/auf-der-jagd-nach-den-verlorenen-stimmen/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=auf-der-jagd-nach-den-verlorenen-stimmen http://www.wahlfahrt09.de/orte/auf-der-jagd-nach-den-verlorenen-stimmen/#comments Sun, 27 Sep 2009 18:54:09 +0000 Jörn Neumann, Daniel Poštrak http://www.wahlfahrt09.de/?p=3668 BÖRDE. Nicht nur die OSZE sendet Wahlbeobachter aus, um die Bundestagswahl 2009 zu überprüfen und damit mögliche Unregelmäßigkeiten aufzudecken. Auch das Wahlfahrt09-Team macht sich auf, verloren gegangene Stimmen zu finden.

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Herr Grün und die Roten http://www.wahlfahrt09.de/menschen/herr-grun-und-die-roten/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=herr-grun-und-die-roten http://www.wahlfahrt09.de/menschen/herr-grun-und-die-roten/#comments Fri, 11 Sep 2009 13:54:26 +0000 Jan Patjens http://www.wahlfahrt09.de/?p=3043 Duisburg_Rainer_Gruen

Foto: Milos Djuric

DUISBURG.Aus Frust über die großen Parteien haben Deutsch-Türken in Duisburg einen eigenen Wählerverein gegründet. Sie wollen Menschen aus Zuwandererfamilien für die Politik gewinnen – und stellen fest, das ist nicht immer einfach.

Richtige Wahlkampfstimmung will nicht aufkommen an diesem Septembermorgen in der Friedrich-Engels-Straße in Marxloh. Schräg gegenüber der Marktklause haben ein paar ältere Männer von der SPD einen Infostand aufgebaut, es gibt Würstchen und rot-weiße Kugelschreiber. Der Bundestagsabgeordnete Johannes Pflug kämpft im Wahlkreis Duisburg II um ein Direktmandat. Doch das Interesse der Passanten hält sich in Grenzen. Und die CDU ist gar nicht erst gekommen, sehr zum Ärger der Genossen.

Marxloh, ein Stadtteil im Norden Duisburgs. Bundesweit bekannt wegen seiner Moschee, der größten in Deutschland, vor knapp einem Jahr eröffnet. Jeder Dritte der rund 18000 Einwohner stammt aus einer Migrantenfamilie. Man hat den Stadtteil mit Berlin-Neukölln verglichen und als Ghetto bezeichnet, als ein bedürftiges, von Arbeitslosigkeit und politischer Apathie geprägtes Problemviertel. Marxloh wurde zur „Chiffre für eine deutsche Banlieu“.

Marxloh ist mehr als eine deutsche Banlieu

Doch die Wirklichkeit ist vielschichtig, anders als das Klischee. In der Weseler-Straße, der Hauptstraße von Marxloh, gibt es sie zwar, die schmutzigen Gründerzeitfassaden, Wettbüros und Spielhallen, die Döner-Imbisse und dunklen Kneipen mit aschgrauen Gardinen. Aber es gibt hier eben auch prächtige Geschäfte für Brautmoden, Juweliere und Schuhläden, Ärzte und Apotheken mit türkischen Namen. Sie stehen für den neuen Mittelstand im Viertel.

Und noch etwas passt nicht in das Bild vom Problembezirk: Die Merkez-Moschee in Marxloh wurde ganz ohne Streit geplant und gebaut. Anders als in Köln, Frankfurt oder Berlin gab es hier keine Proteste der Anwohner und keine grundsätzlichen Bedenken. Vom „Wunder von Marxloh“ war deshalb die Rede.

Ein Wunder war es wohl nicht, eher ein Beispiel für Integration: Im Vorstand der Moschee sitzen Angehörige einer jungen Generation, pragmatische Deutsch-Türken, die im Ruhrgebiet aufgewachsen und beruflich erfolgreich sind. Den Bau der Moschee haben vor allem Frauen im Alter von 30 bis 40 Jahren vorangebracht. Sie setzten sich für einen Beirat ein, dem Vertreter christlicher Kirchen, Parteien, Gewerkschaften und Nachbarn angehörten. Und für ein Begegnungszentrum, das allen offen steht.

Am Infostand der SPD kann man an diesem Morgen indes auch beobachten, dass es nicht immer so gut klappt mit dem Dialog zwischen Deutschen und Migranten. Und das liegt nicht nur daran, dass Berlin und der Bundestag weit weg sind. Auch bei den Kommunalwahlen Ende August hat in Marxloh gerade mal jeder vierte Wahlberechtigte seine Stimme abgegeben, Negativrekord in Duisburg. Oft ist im Stadtteil der Satz zu hören, die Migranten interessierten sich doch eh nicht für Politik.

Migranten für Politik begeistern

Schon wieder ein Klischee? Rainer Grün, 41, ist einer, der es wissen muss. Er ist Vorsitzender der „Duisburger Alternativen Liste“ (DAL), einer Wählervereinigung, die Migranten für die Politik gewinnen und ihre Interessen in der Kommunalpolitik besser zur Geltung bringen will. Sein Vater stammt aus der Türkei, seine Mutter aus Deutschland. Grün arbeitet als Wachmann und kommt gerade von der Nachtschicht. Es ist kurz nach zehn, Zeit für einen Feierabend-Tee in einem Döner-Grill an der Weseler Straße – und für ein Gespräch über Politik.

Im Wahlkampf habe er gemerkt, wie schwierig es sei, Migranten für Politik zu begeistern, sagt Grün: „Hier haben viele verinnerlicht, dass sie ‚Ausländer’ sind, sie fühlen sich nicht als Bürger.“ Außerdem trauten die meisten den Parteien nicht mehr zu, die Probleme zu lösen. Nach wie vor würden türkischstämmige Menschen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt diskriminiert, es fehle an Unterstützung für Vereine und an Angeboten für Jugendliche. „Die Resignation ist riesengroß, da ist es nicht leicht, die Leute zum Wählen zu bewegen.“

Als Spitzenkandidat der DAL hat Rainer Grün das selbst zu spüren bekommen. Nur 1,1 Prozent der Stimmen hat die Wählervereinigung bei den Kommunalwahlen in Duisburg gewonnen – das reicht immerhin für ein Mandat im Stadtrat. So wird Grün nun erstmals in das Gremium einziehen, er könnte also zufrieden sein. Doch die Enttäuschung über das schlechte Abschneiden seiner Liste überwiegt.

Trotz urdeutschem Namen auf hinterem Listenplatz

Es ist nicht die erste Enttäuschung für Grün. Als er im Jahr 2004 gemeinsam mit zwanzig anderen Duisburgern die DAL gründete, trieb ihn vor allem der Frust über die Parteien an. Grün war viele Jahre SPD-Mitglied, ein „aktiver Funktionär“, wie er sagt. Die Genossen an der Basis hätten ihn allerdings nicht recht zum Zug kommen lassen: „Ich durfte zwar Pöstchen bekleiden und Plakate kleben, wenn es aber um politische Ämter ging, war für mich Schluss.“ Die Altgedienten hätten nichts von ihrer Macht abgeben wollen, er sei nicht nach Leistung, sondern nach seiner Herkunft beurteilt worden. „Trotz meines urdeutschen Namens“, sagt Rainer Grün.

Ähnlich erging es anderen Gründungsmitgliedern der DAL, zum Beispiel Gürsel Dogan: Er war lange in der CDU, kehrte der Partei aber den Rücken, als sie ihn vor der Ratswahl 2004 auf einen aussichtslosen Listenplatz setzen wollte. „Wir hatten keine Chance, und das ausgerechnet in Duisburg“, sagt Grün. Die Parteien trügen selbst dazu bei, dass Migranten sich von ihnen abwendeten.

Dabei müssten die Parteien eigentlich großes Interesse an Leuten wie Rainer Grün haben. Rund 700.000 türkischstämmige Wähler gibt es in Deutschland, fast jeder Fünfte Einwohner ist zugewandert oder ein Kind oder Enkel von Migranten. In manchen westdeutschen Großstädten wird in einigen Jahren die Hälfte der Jungwähler aus Migrantenfamilien stammen.

Integration ist Randthema im Wahlkampf

Kein Wunder also, dass die Parteien um Zuwanderer werben und sie offiziell willkommen heißen. Spitzenpolitiker wie Cem Özdemir und Lale Akgün, Bülent Arslan und Hakki Keskin sollen Migranten ansprechen. Die Förderung von Integration steht in allen Parteiprogrammen – immerhin ist das Thema in der Bildungs-, Familien-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik von entscheidender Bedeutung.

Doch im Bundestagswahlkampf spielt Integration kaum eine Rolle. Für Schlagzeilen sorgte allein Jürgen Rüttgers, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, als er bei einem Wahlkampfauftritt in Duisburg rumänische Arbeiter beschimpfte: Die kämen nicht pünktlich zur Schicht und wüssten nicht, was sie tun.

Und an der Parteibasis stoßen Migranten oft auf Ablehnung, sie haben es schwer, attraktive Listenplätze zu ergattern. Im Bundestag sitzen derzeit fünf türkischstämmige Abgeordnete, zur Zeit der rot-grünen Koalition waren es sogar nur zwei. In diesem Jahr kandidieren zwar mehr als zwei Dutzend Deutsch-Türken für den Bundestag, die meisten von ihnen rangieren jedoch auf hinteren Listenplätzen und haben kaum Aussicht auf ein Mandat.

Ein Drittel Migranten, ein Sechstel migrantische Abgeordnete

In Duisburg sieht es ganz ähnlich aus. Ein Drittel der knapp 500.000 Einwohner hat hier einen so genannten Migrationshintergrund, im Stadtrat sind derzeit jedoch nur fünf von 74 Abgeordneten türkischer Herkunft. Einer von ihnen ist Gürsel Dogan, jener Kommunalpolitiker, der die CDU 2004 verlassen hatte und als DAL-Kandidat ein Mandat gewann. Er schloss sich bald der CDU-Ratsfraktion an und trat seiner alten Partei wieder bei. In seinem Wahlkreis Duisburg-Hochfeld ist er vor zwei Wochen direkt gewählt worden.

Eine kleine Erfolgsgeschichte, keine Frage. Dem neuen Stadtrat werden nun immerhin acht Abgeordnete aus Zuwandererfamilien angehören. Und zur Bundestagswahl tritt in Duisburg wenigstens ein Direktkandidat türkischer Herkunft an: Hüseyin Aydin von den „Linken“. „Die Situation hat sich etwas verbessert“, sagt Rainer Grün, „einige Parteimitglieder haben ihre Lektion gelernt.“ Das sei auch ein Verdienst der DAL.

Im Stadtrat will Grün, der ehemalige Sozialdemokrat, nun den CDU-Oberbürgermeister unterstützen. „Wir haben uns zwar aus Protest gegründet, wollen aber konstruktiv Politik machen“, sagt er. Und registriert mit Genugtuung, dass die Ratsfraktionen jetzt um seine Stimme werben.

Schnellboot der Migration in die Politik

Dennoch wollen Grün und die DAL weiter gegen die Politik- und Parteienverdrossenheit vieler Migranten kämpfen. „Keine Integration ohne Mitbestimmung“ lautet einer ihrer Slogans. „Wir wollen Leute aus der Basis ins Rathaus schicken, wir sind das Schnellboot der Migration in der großen Politik“, sagt Grün und klingt fast schon wie ein Berufspolitiker. Mittlerweile hat die Wählervereinigung 25 Mitglieder, darunter sind viele Frauen. Fast alle sind Deutsch-Türken, obwohl man keine reine Migrantenliste sein will und auch ein deutscher Arzt dabei ist. „Dal“ ist das türkische Wort für Ast. „Wir wachsen“, sagt Grün, „und man kann sich an uns festhalten.“

Fragt man Abdullah Küҫük, warum er sich für die DAL engagiert, dann sagt er: „Ich bin Deutscher, gelte hier aber immer noch als ‚Ausländer’. Das will ich mal abschaffen.“ Küҫük, 36, ist in Duisburg geboren und in Marxloh aufgewachsen. Er hat bei Thyssen eine Ausbildung zum Verfahrenstechniker gemacht und arbeitet heute im Stahlwerk Hamborn. „Viele meiner Freunde haben studiert, einige sind Ärzte oder Geschäftsleute geworden“, sagt er. „Wir stehen für gelungene Integration, die Parteien verwenden nur das Wort.“ Auch in der Bundespolitik dienten ihnen türkischstämmige Abgeordnete oft nur als Aushängeschild.

Abdullah Küҫük hat bei den Kommunalwahlen in Alt-Hamborn kandidiert, seine Frau Ebru, 28, trat in Marxloh an. Ein Mandat für die Bezirksvertretung haben beide nicht gewonnen. Doch das sei auch gar nicht so wichtig, sagt er. Es gehe ihm vor allem darum, dass Menschen türkischer Herkunft überhaupt wahrgenommen würden, auf allen Ebenen der Politik. „Geh’ zur Wahl!“, das sei der wichtigste Appell der DAL.

Bockwurst statt Baklava

In der Friedrich-Engels-Straße haben die Genossen ihren Stand inzwischen wieder abgebaut. Die SPD habe überhaupt keine Schwierigkeiten, mit Migranten ins Gespräch zu kommen, sagt einer. „Wir haben auch selbst welche dabei, das entwickelt sich schon.“ Sicher ist, dass die großen Parteien es sich immer weniger leisten können, die Gruppe der Migranten zu vernachlässigen. Und vielleicht hilft es ja schon ein bisschen, wenn der SPD-Ortsverein im nächsten Bundestagswahlkampf nicht nur mit Bockwurst, sondern auch mit Baklava auf Wählerfang geht.

Rainer Grün jedoch kann es sich vorerst nicht vorstellen, zu den Roten zurückzukehren.

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Wahlgangster in Gevelsberg http://www.wahlfahrt09.de/orte/wahlgangster-in-gevelsberg/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=wahlgangster-in-gevelsberg http://www.wahlfahrt09.de/orte/wahlgangster-in-gevelsberg/#comments Thu, 10 Sep 2009 10:37:25 +0000 JC Kage http://www.wahlfahrt09.de/?p=3030

GEVELSBERG. Das erste Mal ist oft schwer. Gerade wenn 18jährige wählen sollen, die sich im Alltag noch kaum mit Politik auseinandergesetzt haben. Seit Jahren geht die Zahl der Erstwähler zurück. Die Studenten der “Wahlgang” besuchen deswegen Schulen, um den Jugendlichen bei der ersten schweren Wahl Entscheidungshilfen zu geben. Wir waren in Gevelsberg dabei.

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Tagebuch: Weiß-blau ist der Himmel über Erding http://www.wahlfahrt09.de/tagebuch/weis-blau-ist-der-himmel-uber-erding/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=weis-blau-ist-der-himmel-uber-erding http://www.wahlfahrt09.de/tagebuch/weis-blau-ist-der-himmel-uber-erding/#comments Mon, 24 Aug 2009 13:14:00 +0000 Moira Lenz http://www.wahlfahrt09.de/?p=1258 erding-tagebuch

Foto: Milos Djuric

Mei, Erding is halt a Pracht, des löst sich nicht leugnen. Bei schönstem Sonnenschein san die Wahlfahrer heut gsessen am Kleinen Platz und ham Hof ghalten in dem Ort, der „so schön historisch aussieht“, des zumindest findt die 17-jährige Sonja, a Mädl, des bei der Party von ednetz im „Penthouse“ war.

Ist er auch, historisch mein i, seit 1228 hat er nämlich bereits das Stadtrecht, so. Nachdem sich’s gestern nicht also nur nicht ham bitten lassen, sondern beim Sauwetter, dem blödn, glei gonz weg blieabn sin, sans heut fast zutraulich, ja, zudringlich gworn, die Erdinger. Sozusagen die sprichwörtliche Klinke in die Hand hams sich gebn. Und glästert hams, mei, am liebsten über die Politiker: Von wegen oh du schönes CSU-Land der Bayern – heuer stehn die auch nicht mehr so guat do, die „Christlichen“. Veroarscht fühln sich die Bürger „Was die in dieser Woche versprechen, des hams den nächsten Tag schon vergessen“ – Rauchverbot, Startbahn, Milchpreise, die Liste ließ sich lang noch weiter führn.

Manch einer will drum gar nicht mehr wählen, aber nicht still und leise, nein! Des wird öffentlich gmacht, des solln die nur alle wissen. Der Martin, a Bauer, meint, dass die Bayern, traditionell befangen san und eigentlich immer a Führung braucht ham. Der Strauß hat des begriffen ghabt, und selbst der Stoiber hats no gwußt, aber jetzt? Die kleinen Parteien, vielleicht sogar die Pauli, des wär vielleicht no a Lösung – aber eben auch nur, bis s an der Macht gschnuppert ham, dann is vorbei.

Früher, des meint der Jauernig Erich, da wars ganz leicht gwen mit dem Wählen: Wenn die Partein alle beide Recht ghabt ham (mehr als die CSU und a ganz kleine SPD hats da nicht gebn), dann hat ma die gwählt, die mehr Maß zahlt hat beim Frühschoppen – wer des gwen ist, des muss ma jetzt nicht no sagn, oder?

Das des so oanfach amohl war, muss sich die Wahlfahrt jetzt erst amohl im Munde zergehen lassen – mit am prächtigen Weißbräu, in Erding.

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„Warum tun Politiker immer so, als gäbe es für alles einfache Lösungen?“ http://www.wahlfahrt09.de/menschen/%e2%80%9ewarum-tun-politiker-immer-so-als-gabe-es-fur-alles-einfache-losungen%e2%80%9c/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=%25e2%2580%259ewarum-tun-politiker-immer-so-als-gabe-es-fur-alles-einfache-losungen%25e2%2580%259c http://www.wahlfahrt09.de/menschen/%e2%80%9ewarum-tun-politiker-immer-so-als-gabe-es-fur-alles-einfache-losungen%e2%80%9c/#comments Mon, 24 Aug 2009 11:08:44 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=1268

Erding_Manuel_Brandel-300X400

Foto: Thomas Trappe

ERDING. Manuel Brandl-Edler von Schweller (26) ist gelernter Gartenlandschaftsbauer und auf der Suche nach einem Job. Obwohl es in Erding offiziell fast keine Arbeitslosigkeit gibt, tut er das nun schon seit einem Jahr ohne Erfolg. Politikern traut er nicht, wählen wird er dieses Jahr nicht gehen.

Sicher, in Erding gibt es eigentlich fast Vollbeschäftigung. Doch die Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen, ich glaube, dass die oft einfach runtergerechnet werden, zum Beispiel mit Hartz-IV-Empfängern, die sinnlose Seminare oder Bewerbungstrainings besuchen.

Ich selbst wurde vor einem Jahr arbeitslos. Meine Firma hatte damals einen Subunternehmer beauftragt, wenig später ist mein Job weggefallen. Seitdem suche ich einen Job als Landschaftsgärtner. Ohne Führerschein fällt das aber ganz schön schwer. Inzwischen hab ich mich auch schon bei Zeitarbeitsfirmen nach Jobs erkundigt, vielleicht klappt es ja demnächst.

Ob die Politik fähig ist, meine Situation zu verbessern, bezweifle ich. Um ehrlich zu sein, halte ich nicht viel von Politikern. Ich werde deshalb dieses Jahr nicht wählen gehen, bei der letzten Bundestagswahl war ich auch nicht. Es gibt einfach keine Partei, von der ich denke, dass sie es bringt oder die meine Ziele vertritt. Es wird von Politikern einfach zu viel versprochen, was dann nicht gehalten werden kann.

Dabei verstehe ich, dass in der Politik nicht alles so einfach ist. Aber dann frage ich mich, warum dann immer so getan wird, als gebe es einfache Lösungen? Das macht doch keinen Sinn. Ich werde jedenfalls erst wieder wählen gehen, wenn die Worte der Politiker wieder ihren Taten entsprechen und sie Aussagen machen, bei denen wirklich klar ist, was sie eigentlich meinen.

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“Ich verstehe nicht, warum die Linke im Osten so stark ist.” http://www.wahlfahrt09.de/neues/ich-verstehe-nicht-warum-die-linke-im-osten-so-stark-ist/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=ich-verstehe-nicht-warum-die-linke-im-osten-so-stark-ist http://www.wahlfahrt09.de/neues/ich-verstehe-nicht-warum-die-linke-im-osten-so-stark-ist/#comments Tue, 18 Aug 2009 14:57:11 +0000 Ulrike Linzer http://www.wahlfahrt09.de/?p=717 HerrSchreiber_180x300HALLE. Der Hallenser Peter Schreiber, 63, ist Frührentner. Der einstige Maschinenbau-Ingenieur wurde nach der Wende arbeitslos und hat in der Versicherungsbranche gearbeitet. Er hält große Stücke auf Angela Merkel und meint, die werde das auch weiter deichseln.

Der Wahlkampf ist mir ein bisschen zu ruhig, es wird zu wenig auf die dringenden aktuellen Themen eingegangen. Angeblich geben die Parteien doch 60 Millionen Euro für den Wahlkampf aus, aber wo sind die Wahlkämpfer denn, wann fangen die denn an?

Was mich irritiert, ist die Wahlmüdigkeit hier im Osten. Gerade mal nach 20 Jahren sind die Leute schon so abgestumpft und haben keine Ideen und Visionen mehr. Und was ich auch nicht verstehe, warum die Linke im Osten so stark ist. Das kann ich nicht begreifen, dass die Menschen das so schnell vergessen haben, was in der DDR war. Dass sie heute sogar sagen, dass es damals besser war.

Ich bin kein Wechselwähler, ich habe seit Jahren eine stramme Ausrichtung. Ich wähle CDU. Die Frau Merkel macht das recht ordentlich und bringt da Ruhe und Sachlichkeit rein. Das zeichnet sie aus, und sie wird das auch weiter so deichseln.

Morgen kommt ja der Cem Özdemir nach Halle, den finde ich ganz in Ordnung. Also was der sagt, hat Hand und Fuß, der ist der Einzige von den Grünen, der eine Koalition machen könnte mit der CDU.

Protokoll: Ulrike Linzer, Foto: Sylvie Gagelmann

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