Wahlfahrt09 » Menschen http://www.wahlfahrt09.de Mon, 03 May 2010 15:28:35 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.2.1 Bereit zum Ändern http://www.wahlfahrt09.de/menschen/denk-selbst/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=denk-selbst http://www.wahlfahrt09.de/menschen/denk-selbst/#comments Fri, 25 Sep 2009 15:34:59 +0000 Anja Schlender http://www.wahlfahrt09.de/?p=3301 Piraten_Rene_Emcke_siteMAGDEBURG. Sie sind eine der jüngsten Parteien der insgesamt 27 Parteien in diesem Bundestagswahlkampf – die Piratenpartei. In Deutschland gibt es die Piraten erst seit drei Jahren. Der Landesverband Sachsen-Anhalt wurde erst vor drei Monaten gegründet. Anja Schlender hat in Magdeburg mit dem Landesvorsitzenden René Emcke gesprochen.

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Alter, ey! http://www.wahlfahrt09.de/menschen/alte-anspruche/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=alte-anspruche http://www.wahlfahrt09.de/menschen/alte-anspruche/#comments Wed, 23 Sep 2009 13:57:46 +0000 Daniel Stender http://www.wahlfahrt09.de/?p=3155 Horst Gilles von der Rentnerinnen und Rentner Partei

Foto: Jörn Neumann

WENDLAND. Neun Mitglieder hat die “Rentnerinnen und Rentner Partei” (RRP) in Lüchow. Kennt keiner? Macht nichts, Direktkandidat Horst Gilles kämpft trotzdem auf dem Marktplatz um jede Stimme.

Seine Partei, sagt der ehemalige Bankkaufmann Horst Gilles, habe einen großen Vorteil gegenüber allen anderen, die zur Bundestagswahl antreten. „Wir von der RRP sind ja schon rein vom Biologischen her nicht mehr korrumpierbar“, sagt Gilles und meint damit, dass er und die rund 3000 Mitglieder der Rentnerinnen und Rentner Partei schlichtweg zu alt sind, um wegen der hohen Diäten in die Politik zu gehen. Gilles, der Direktkandidat im Landkreis Lüneburg, macht gerne mal einen Scherz über das eigene Alter. Mit seinen 66 Jahren, sagt er zum Beispiel, hat er ja schon eine Rente – an einer weiteren Pension, etwa im Bundestag, sei er da nicht mehr interessiert.

20090922_rentnerpartei_portrait

Foto: Christian Salewski

Gemeinsam mit Bernd Wald, dem stellvertretenden Kreisvorstand, macht Gilles Wahlkampf in der Innenstadt von Lüchow. Keine leichte Aufgabe, hat die RRP in Lüchow doch nur neun Mitglieder. „Hier müssen wir noch aufbauen“, sagt Gilles – aber seine Partei gibt es erst seit knapp zwei Jahren und in Lüneburg hat sie schon 110 Mitglieder. Hier hält er es für realistisch, dass die RRP ca. 5 Prozent der Stimmen erreicht. Rein vom Potential her, da ist sich Gilles sicher, ist fast alles möglich.

20 Millionen Rentner gibt es in Deutschland – und die wenigsten sind zufrieden. In den vergangenen Wochen kamen in vielen Städten Rentner an den Wagen der Wahlfahrt, und klagten über geringe Einkünfte. Laut Deutscher Rentenversicherung bekamen 2007 über 40% der deutschen Rentner weniger als 600 Euro im Monat.

Den Unmut der Senioren bedient die RRP: „Rentner – die Milchkühe der Nation“, heißt es auf der Internetseite. Neben einer garantierten Mindestrente von 1000 Euro im Monat geht es ihnen noch um Gesundheit und Bildung. Konkret heißt das: weniger Krankenkassen und kostenlose Kitas, Schulen und Universitäten. „Aber nur für die Leute, die in der Regelstudienzeit fertig werden“, sagt Bernd Wald. Andere Politikbereiche kommen im Programm nicht vor.

Eine reine Altenpartei will die RRP allerdings nicht sein: Schließlich ist das jüngste Mitglied erst 16 Jahre alt, „16 Jahre und zwei Monate“, präzisiert Gilles, der sichtlich stolz darauf ist, dass auch ein Teenager bei den Senioren mitmacht. „Weil er sich um seine Rente sorgt, ist der Junge dabei“, sagt Bernd Wald. „Außerdem hat er eine Eins im Fach Politik. Und bei uns hat er auch die besten Aufstiegschancen.“ Rein vom Biologischen her, natürlich.

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Wahlentscheidung an der Panzerfaust http://www.wahlfahrt09.de/menschen/wahlentscheidung-an-der-panzerfaust/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=wahlentscheidung-an-der-panzerfaust http://www.wahlfahrt09.de/menschen/wahlentscheidung-an-der-panzerfaust/#comments Mon, 21 Sep 2009 18:49:25 +0000 C. Salewski http://www.wahlfahrt09.de/?p=3023 Wismar_DrSschmidt

Foto: Milos Djuric

WISMAR. Der Tag, an dem sich für Joachim Schmidt entschied, wie er bei der Bundestagswahl 2009 abstimmen wird, liegt 64 Jahre zurück. Ein Wintermorgen 1945. Der 17-jährige Joachim Schmidt gräbt sich mit seinen Kameraden der Panzeraufklärungsabteilung Sechs an einem Waldrand in der Nähe von Dortmund ein. Späher haben am Vorabend kanadische Panzer gesichtet. Sie nähern sich schnell. Der Kompanieführer hält eine Rede. Die üblichen Durchhalteparolen. Schmidt hat Angst. Bisher kennt er den Feind nur in Form von Bomberflotten weit oben am nächtlichen Himmel.

Als Flakhelfer hatte man ihn ein Jahr zuvor aus dem Gymnasium heraus verpflichtet und nach Emden befohlen, genau in die Einflugschneise der Alliierten. Jeden Tag Alarm, häufig mehrfach. „Vom Bett an die Kanone in drei Minuten“, sagt Schmidt. Mit ihm kämpfen Kriegsgefangene der Roten Armee, die sich freiwillig gemeldet haben, um den furchtbaren Bedingungen der normalen Gefangenschaft zu entgehen. Nazis und Kommunisten feuern gemeinsam auf Alliierte. „Die Welt der Absurdität begann für mich eigentlich schon damals“, sagt Schmidt heute.

Als die kanadischen Panzer den Waldrand erreichen, ist alles schnell vorbei. Ein Gefecht zwischen den deutschen Gymnasiasten und den schwer bewaffneten Kanadiern kommt gar nicht erst zustande. Die deutsche Stellung wird einfach überrollt. „Ich habe meine Panzerfaust nicht abgefeuert, ich bin ja nicht bekloppt“, sagt Schmidt und tippt sich dabei mit dem Zeigefinger an die Stirn. Als er gefangen genommen wird, schwört er sich: Du fasst nie wieder ein Gewehr an. Daran hat er sich gehalten.

Pazifisten sind naiv, sagt die Politik

64 Jahre später sitzt Joachim Schmidt auf dem Marktplatz von Wismar und erklärt, nach welchen Kriterien er entscheidet, wen er wählen wird. „Aus meiner Biographie heraus ist für mich die Hauptfrage: Krieg oder Frieden? Ich bin gegen jede Gewaltanwendung.“ Erst vergangene Woche habe die Bundeswehr hier auf dem Platz einen Informationsstand aufgebaut. „Das ist wie bei uns 1943“, sagt Schmidt. Damals seien die Offiziere in die Schulen gekommen, um für die Wehrmacht zu werben, heute suche die Bundeswehr Nachwuchs für die Auslandseinsätze. Für den 82-Jährigen ist klar: „Wenn ich wähle, dann nur eine Partei, die Afghanistan beendet.“

Es gibt nicht wenige Leute, die würden solche Ansichten als etwas naiven Pazifismus abtun. Im Grunde sind alle Spitzenpolitiker der im Bundestag vertretenen Parteien solche Leute, mit Ausnahme der Linken. Für Joachim Schmidt ist der Pazifismus indes eine tiefe Überzeugung. Und er ist alles andere als politisch naiv.

Als Schmidt 1947 aus belgischer Kriegsgefangenschaft entlassen wird, geht er nach Wismar, weil dort Verwandte leben. 1950 macht er Abitur. Sein Vater ist Schuhmacher, also darf er studieren. „Das war so ein Extra-Programm für Arbeiter- und Bauernkinder“, sagt Schmidt. Er schreibt sich für Altphilologie ein, studiert etwas Philosophie und landet schließlich in der Germanistik. Er promoviert, wird Assistent am pädagogischen Institut. Dann ist Schluss, obwohl er in der SED ist. In seiner Stasi-Akte steht, er sei loyal, habe aber sozialdemokratische Ansichten. „Wenn man Professor werden wollte, musste man schon sehr nah an der Partei dran sein“, sagt Schmidt. Also arbeitet er fortan beim „Kinderbuch-Verlag“ in Berlin. Wie die meisten ostdeutschen Verlage wird auch dieser nach der Wende abgewickelt. Die wertvollen Lizenzen kaufen westdeutsche Verlage auf. Schmidt wird 1992 pensioniert.

Schnelle Urteile wird man von ihm nicht hören

Wenn Schmidt über die heutige Politik spricht, dann meist abfällig, aber theoretisch fundiert. Dass Barak Obama eine „demokratische Massenbewegung“, wie er es nennt, in Gang setzen konnte, fasziniert ihn. Vor allem, weil er damit das Urteil Hannah Arendts über die Radikalität der US-amerikanischen Verfassung bestätigt sieht. Ein Wort, das er häufig benutzt ist „differenziert“. Leute, die ihn beeindrucken, nennt er „hochgradig differenziert“. Es ist die höchste Auszeichnung, die er zu vergeben hat. Schnelle Urteile wird man von ihm nicht zu hören bekommen.

Heute wohnt Joachim Schmidt in einem Altersheim um die Ecke, „zwischen 80 Prozent Demenzkranken“, wie er sagt. Er selbst hält sich geistig fit, indem er zu Literatur-Lesungen geht und zum Philosophie-Kreis des Pastors. Er liest auch im hohen Alter viel: Bücher, philosophische Aufsätze, Zeitungen, auch wenn ihm selbst in der ZEIT oder der Süddeutschen Zeitung die Sprache und die Analyse oft zu spärlich, zu floskelhaft, zu undifferenziert ist.

Dr. Joachim Schmidt wird am 27. September wählen gehen. Er weiß über die Themen auf der politischen Agenda Bescheid, kennt die Argumente und die Programme der Parteien. Die Sonne verschwindet schon langsam hinter den hanseatischen Fassaden, als er sagt: „Es gibt heute Leute, die sind stolz darauf, dass ihre Söhne nach Afghanistan gehen.” Nach einer kurzen Pause schiebt er nach: „Damals waren die Toten auch alle Helden.“

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Hauptsache, die Haare liegen http://www.wahlfahrt09.de/menschen/hauptsache-die-haare-liegen/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=hauptsache-die-haare-liegen http://www.wahlfahrt09.de/menschen/hauptsache-die-haare-liegen/#comments Tue, 15 Sep 2009 20:08:11 +0000 C. Salewski http://www.wahlfahrt09.de/?p=2739 [[Show as slideshow]]

Fotos: Milos Djuric

BREITENFELDE. Die Matte muss eigentlich schon lange ab. Da trifft es sich gut, dass direkt neben dem Kirchplatz, auf dem die Wahlfahrt Station macht, das “Haarstudio Siemers” beheimatet ist. Also zum Klönschnack mit Herrn Siemers.

Siemers ist ein gemütlicher Typ. Und ein einsilbiger. Trockenschnitt oder vorher waschen, will er wissen. Waschen “kost’ fünf Euro mehr”, sagt er. Jetzt will ich erst Recht waschen. Mit der Kopfhaut erfühle ich: Der Mann ist ein Anpacker, einer, der Ergebnisse liefert. Kein unnötiger Schnick-Schnack, norddeutsche Sachlichkeit. Wer feine Kopfmassage will, ist hier verkehrt. Die Haare rubbelt er druckvoll und zielorientiert trocken. “Da drüben geht’s weiter”, sagt er und deutet durch den kleinen Laden.

Seit 1977 betreibt Siemers das Geschäft, er hat es von den Eltern übernommen. Seine Mutter brachte ihm das Handwerk bei. Die Familie Siemers lebt quasi schon immer im Ort. “Seit 1765 oder so”, sagt Siemers. Der 56-Jährige ist rumgekommen. Paris, London, Graz. “Auf Weiterbildung. Muss man machen”, sagt er. Die vergilbten “Diplome” hängen an der Wand. Das aus Paris ist von 1978.

Bis nach Manila kam er. Dort hat er seine Frau kennen gelernt. Seit 20 Jahren sind sie verheiratet. Auch sie schneidet hier Haare.

Siemers greift zur Schere. Ich versuche es mit Politik. Wählen werde er nicht gehen, sagt er, mache er seit 20 Jahren schon nicht. Warum, will er nicht verraten. “Das liegt bei einem selbst.” OK. Recht hat er. Seine Sache. Was hat er denn davor gewählt? Siemers überlegt. Er überlegt sowieso recht lange, bevor er antwortet. Dann hat er seinen Konter gefunden. “Was haben Sie denn gewählt?” “Das sag ich Ihnen nicht.” “Sehen Sie, ich auch nicht.” Punkt für ihn.

Ich mutmaße laut, dass sein Wahlverdruss, was mit Barschel und Waterkantgate und so zu tun haben könnte. Siemers lächelt, sagt aber nichts. Er schnippelt einfach nur fleißig an mir herum. Er habe mal einem Bundestagsabgeordneten die Haare geschnitten. Der kam aus dem Ort. Wie der Mann hieß, will ich wissen. “Weiß ich nicht mehr”, sagt Siemers.

Die Haare sind ab. Siemers raspelt mit einem sehr großen und sehr lauten Elektrorasierer noch die Nackenhaare kurz. Dann ist Schluss. Schade eigentlich.

Ein bisschen aufgetaut ist er in der Viertelstunde. Zum Abschied bietet er mir Fruchtgummi aus einer großen Plastikdose an. Netter Mann der Herr Siemers. Bißchen unpolitisch vielleicht, aber nett.

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Steinmerkel im TV http://www.wahlfahrt09.de/menschen/steinmerkel-im-tv/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=steinmerkel-im-tv http://www.wahlfahrt09.de/menschen/steinmerkel-im-tv/#comments Sun, 13 Sep 2009 13:54:16 +0000 Lena Gürtler http://www.wahlfahrt09.de/?p=2660 Osnabrueck_tvduell_jugendliche

Foto: Milos Djuric

OSNABRÜCK. In der Kneipe, auf dem Sofa bei Erstwählern, den Piraten und im Einfamilienhaus eines Finanzbeamten: Die Wahlfahrt09 zu Gast beim Wähler. Wir schauten den Osnabrückern über die Schultern, als sie das Kanzlerduell gesehen haben. Das Ergebnis wurde auch auf Spiegel Online veröffentlicht.
Einzeltexte: Die Erstwähler, Die Stammgäste

20.00 Uhr – Die Stammgäste

Die “Peitsche” ist eine Raucherkneipe. Davon machen die Gäste rege Gebrauch. Auf einer Leinwand läuft die Übertragung der ARD. Sebastian Heukamp, 35, ist seit fünf Jahren Wirt der “Peitsche”. Der kräftige Osnabrücker, Mitglied der Jungen Union, hat den Wahl-O-Mat vor ein paar Tagen ausprobiert. Ergebnis: an erster Stelle Piratenpartei, an zweiter FDP.

20.07 Uhr – Die Familie

Ein weißes Haus in einer ruhigen Wohnsiedlung. Frank Henning, graue Haare, Bürstenschnitt, empfängt im blauen Jeanshemd an der Haustür. Seine Frau Julia sitzt auf der schwarzen Ledercouch und strickt ein Kleid für die fünfjährige Tochter. Sie und deren 15 Monate alte Schwester sind schon im Bett; jetzt warten die Hennings auf den Beginn des Duells. “Wenn Steinmeier nicht aus sich rauskommt, sehe ich schwarz”, sagt Frank Henning. Der Finanzbeamte sitzt für die SPD im Osnabrücker Stadtrat.

20.18 Uhr – Die Erstwähler

Max, Jonas, Oskar und Pierre machen es sich vor dem Fernseher gemütlich, Füße hoch, ein Bier in der Hand. Die vier Abiturienten sind Erstwähler und wollen jetzt mal sehen, wer sich besser schlägt: die Kanzlerin oder der Herausforderer. “Das ist ja wie beim Fußballgucken”, sagt Max. Aber erst muss der Sender bestimmt werden. Max zappt durch die Vorberichterstattung. Er entscheidet sich für ARD. “Ich find den Unterschied in der Aufmachung voll krass. Bei den Privaten sieht das voll nach Entertainment aus.” Also öffentlich-rechtliche Solidität.

20.29 Uhr – Die Piraten

Lachen im Wohnzimmer der Piraten. Sie sitzen auf der Sofagarnitur in ihren orangefarbenen T-Shirts, die sie tags zuvor noch bei der Demo in Berlin anhatten. Die Gruppe ist ein wenig erschöpft, aber vor allem empört über den Polizeiangriff auf einen Demonstranten. Kurz wird überlegt, ob man nicht doch lieber die Simpsons schauen soll als Merkel und Steinmeier. “Das droht langweilig zu werden. Die stehen sich doch näher als viele Ehepaare.”

20.30 Uhr – Die Erstwähler

Das Duell beginnt.

“Anpfiff!”, sagt Pierre. Steinmeier bei seinem ersten Statement. “Der hat echt ‘ne Stimme wie Schröder”, sagt Max. Jonas: “Aber er ist lange nicht so charismatisch.” Steinmeier redet von Anstand und Vernunft, die in die Wirtschaft zurückkehren müssten. Jonas beugt sich ein bisschen zu Max rüber. “Das sind doch solche Phrasen.” Ganz schön abgeklärt klingt das für einen, der noch nie gewählt hat. “Eigentlich ist die Merkel gar nicht so schlecht”, sagt Max. Es scheint für Steinmeier ein Auswärtsspiel zu werden, zumindest im Wohnzimmer von Max.

20.32 Uhr – Die Piraten

Steinmeier legt los.

“Man könnte meinen, da spricht Schröder.” Ein Pirat greift zur Salzstange.

20.36 Uhr – Die Erstwähler

Die Frage nach dem Du: Peter Kloeppel will wissen, ob sich Steinmeier und Merkel duzen.

“Der will die mega-provozieren, dieser eine Journalist”, sagt Max. Pierre ergänzt: “Ja, die wollen die richtig gegeneinander aufhetzen.”

20.37 Uhr – Die Piraten

Steinmeier und Merkel ziehen Bilanz.

“Schön herumgeredet”, empört sich einer der Piraten. Bisher hören sie zu, werfen immer wieder Kommentare in die Runde, eine Diskussion kommt noch nicht auf. “Ich wette, unser Thema Bürgerrecht wird von keinem der Kandidaten erwähnt”, sagt einer.

20.39 – Die Familie

Steinmeier spricht von Alternativen zur Großen Koalition.

“Problem, dass niemand ihm abnimmt, dass Rot-Grün es schafft”, sagt Frank Henning.

20.49 Uhr – Die Erstwähler

Die vier Erstwähler lauschen gebannt den Argumenten der Duellanten. Max und Jonas lümmeln sich auf der Couch, Oskar und Pierre sitzen aufmerksam nach vorn gebeugt. Da spricht der Herausforderer über die “Lohnspirale nach unten”. “Wenn es ein Phrasenschwein da gäbe, dann wären die schon arm da”, sagt Jonas.

20.46 Uhr – Die Familie

Plasberg sagt, viele Menschen fänden die Situation in Deutschland ungerecht

“Das sehe ich auch so”, sagt Frank Henning. Der 42-Jährige erzählt von der Osnabrücker Autobaufirma Karmann, die gerade im Insolvenzverfahren steckt. “Wenn einer da nach 30 Jahren entlassen wird und ein Jahr später auf Hartz-IV-Niveau lebt, während die Manager ihre Schäfchen ins Trockene gebracht haben – das ist ungerecht.” Julia Henning nickt.

20.54 Uhr – Die Piraten

Steinmeier: Menschen müssen von Arbeit leben können.

Nicken in der Runde.

Die Familie

Julia Henning blickt von ihrer Strickarbeit hoch – und stimmt voll zu. “Wenn jemand acht Stunden arbeiten geht und noch Sozialhilfe beantragen muss, ist das ein Affront.”

20.55 Uhr – Die Stammgäste

Stille Gäste mit Blick auf die Leinwand. Zweite Biere werden bestellt. Getragene Stimmung bei den Kandidaten und bei den Zuhörern. Die Gäste stecken die Köpfe zusammen. “Privat fährt er wahrscheinlich Mercedes”, sagt Wirt Heukamp, als Steinmeier über Opel spricht.

20.57 Uhr – Piraten

Diskussion über Opel.

Herumrutschen auf dem Sofa, die Saftmischung Ananas-Grapefruit wird angeboten. “Klar, sie können sich jetzt nicht gegenseitig kritisieren. Es wäre viel spannender, wenn FDP und Grüne diskutieren würden.”

21.00 Uhr – Die Familie

Moderator Plasberg erinnert die Bewerber daran, dass Wahlkampf herrscht.

Frank Henning lacht. “Das ist ja niedlich – sind das jetzt Merkel und Steinmeier gegen die Journalisten?”

Die Stammgäste

Erster Stimmungshöhepunkt. “Nicht die Politiker streiten sich heute, sondern die Moderatoren”, sagt ein Gast mit Lesebrille. Als die Redezeit eingeblendet wird und gleich ist, bemerkt eine junge Frau: “Also doch ein Duett!”

21.02 Uhr – Die Familie

Merkel und Steinmeier streiten über Atomkraft.

Jetzt hat Frank Henning auch was zu sagen, das ist sein Anliegen, damit hat er sich beschäftigt: Wenn Atomkraftwerke ausgeschaltet würden, “geht hier keine Glühbirne aus”.

Die Piraten

Die Gruppe wird wieder aufmerksamer. Zwischenfrage einer Piratin: “CDU hat keinen Ausstiegszeitpunkt genannt, oder? Nein, nur über 2020 hinaus.”

Die Erstwähler

Auch auf der Couch wird jetzt diskutiert. “Erneuerbare Energien müssen her”, sagt Max. Die beiden Politiker auf dem Bildschirm seien in dieser Frage aber nicht besonders glaubwürdig. “Das ist ein Thema von den Grünen.” Pierre ist anderer Meinung. “Die Grünen plakatieren Atomfässer und warnen vor Schwarz-Gelb, aber dann gehen sie in den Ländern mit der CDU in Koalitionen. Das ist Wählerverarschung, finde ich.”

21.14 Uhr – Die Stammgäste

Die Bankenkrise ist Duell-Thema.

Eine ältere Dame thematisiert den Gehaltsunterschied der beiden Frauen Merkel und Illner. “Die verdient ja viel mehr als Merkel.” Ihr Nebenmann fügt hinzu: “Und ist produktiver.” Als Steinmeier auf das Thema auf Fehlverhalten der Banken kommt, sagt ein Mann: “Und der ist seit acht Jahren im Amt.”

Die Piraten

Auf dem Sofa kommt die Frage auf: “Gibt es eigentlich eine Pause?” Wieder die Idee, in der Werbepause mal zu den Simpsons zu schalten.

21.21 Uhr – Die Familie

Steinmerkel spricht über Kredite für den Mittelstand.

“Er hält quasi ein Referat”, sagt Henning. Steinmeier sei sachlich, so reiße er niemanden mit – aber Merkel sei ja auch nicht so heißblütig. Der 42-Jährige schüttelt den Kopf. So würden die Zuschauer wohl nicht zum Wählen motiviert. “Das ist kein Duell. Eigentlich machen die da eine nette Unterhaltung. Da ist kein Pfeffer drin”, sagt Julia Henning.

21.27 Uhr – Die Erstwähler

Merkel spricht über Steuersenkungen.

Steuersenkungen? “Das ist doch absolut unglaubwürdig”, sagt Jonas. Pierre: “Und selbst wenn sie die Steuern senken, dann ist das immer noch höher als früher.”

Die Familie

Julia Henning legt das Strickzeug weg. “Endlich mal!” ruft sie und sieht auf die Uhr. Eine Stunde haben die Politiker gebraucht, bis sie miteinander diskutieren. Da freut sich nicht nur Plasberg.

21.34 Uhr – Die Piraten

Merkel spricht über die Gesundheitspolitik.

Wieder stärkere Aufmerksamkeit gen Fernseher, dann Enttäuschung. “Wie wäre es eigentlich mit Abschaffung der Gesundheitskarte?”, fragt einer. Doch diese Frage kommt nicht.

21.37 Uhr – Die Stammgäste

“Die SPD will Verhältnisse wie in der DDR schaffen, alles soll gleichgemacht werden”, sagt die Dame in Kostümjacke mit Perlenohrringen. “Gemeinschaftsschulen, Krankenversicherung. Und die Börsensteuer, die trifft die kleinen Leute, die die Riester-Rente haben, nicht die Börsianer.”

“Eigentor!” frohlockt ein bärtiger Gast, als Steinmeier ohne Not die Dienstwagenaffäre erwähnt.

21.39 Uhr – Die Erstwähler

Der Zeitkontenvergleich

Merkel hat bisher länger geredet als Steinmeier, aber den Jungs kommt es anders vor. “Was? Steinmeier hat doch viel länger geredet”, sagt Max. Der Herausforderer punktet im Osnabrücker Wohnzimmer. Jonas: “Der ist halt schon charismatischer als die Merkel.”

21.40 Uhr – Die Piraten

Steinmeier zu Afghanistan

Ein Piratin seufzt, schlendert mit der Teetasse in die Küche, um Wasser aufzusetzen. Steinmeier spricht von der Gefahr, dass bei Abzug der Truppen alle Mädchen wieder in den Keller müssten, die Bauern wieder Drogen anbauen würden. Außenpolitik ist jetzt nicht unbedingt ein Thema der Piratenpartei. Trotzdem der empörte Einwurf aus der Küche: Ist ja ein schönes Bild, das er da von Afghanistan hat!

21.45 Uhr – Die Familie

Limbourg nennt Merkel und Steinmeier “älteres Ehepaar”.

“Das hab ich auch gerade gedacht”, sagt Frank Henning und lacht: “Nettes Pärchen.”

21.47 Uhr – Die Familie

Steinmeier: Opposition kommt auf keinen Fall in Betracht.

Frank Henning schüttelt den Kopf – genau das will er nicht. Eine Neuauflage der Großen Koalition “würde die SPD völlig kaputt machen”, hatte er schon vor Beginn der Sendung gesagt. Dann sollte sie lieber in die Opposition gehen, denn sonst würde “Angie” alle Erfolge für sich beanspruchen. Julia Henning hat das Strickzeug weggelegt.

21.49 Uhr – Die Erstwähler

Politische Farbenspiele im TV-Duell.

Wer mit wem? Steinmeier in der Defensive. Wie hält er es mit der FDP, wie mit der Linken? “Eigentlich wissen die bei der SPD ja, dass sie einen dritten Partner brauchen.” Aber die FDP soll das nicht sein, zumindest nicht für Max und Jonas. Sie befürworten eine rot-rot-grüne Lösung. Dass Steinmeier das ausschließt, finden sie nicht gut. Pierre und Oskar würden eine Ampelkoalition mit der FDP bevorzugen. “Ich glaube, dass das demokratischer wäre, wenn man bei Rot-Grün noch Gelb dabei hat”, sagt Pierre.

21.54 Uhr – Die Stammgäste

Merkel kommt in Fahrt. Das trifft den Nerv der Zuschauer in der “Peitsche”. Zustimmung, als sie Steinmeier angreift und über eine mögliche Koalition von SPD und Linke spricht. “Jetzt kommt sie ja mal langsam. Hat ja lange gedauert.” – “Super, gut.”

21.57 Uhr – Die Piraten

Steinmeiers Schlussstatement.

Stille.

Die Stammgäste

“Aus der Krise…”, setzt Steinmeier an.

“Nicht mit der SPD!” ruft ein Mann in die Runde. “Das hat mit der vorherigen Diskussion nichts zu tun”, kritisiert ein Gast. “Auswendiggelernt!” Überzeugen kann der Herausforderer die Kneipengäste der “Peitsche” nicht.

Eine Dame fordert die anderen Gäste auf, Steinmeier aussprechen zu lassen. Absolute Ruhe beim Endstatement der Kanzlerin. Applaus brandet auf, als Merkel fertig gesprochen hat. “3 zu 1 für Merkel”, glaubt ein Gast. Für die Gäste der Peitsche steht der, pardon, die Siegerin fest.

Die Erstwähler

Auch bei den vier Jungs ist die Sache klar: Der Auftritt des Herausforderers hat sie überzeugt, auch wenn Merkel “für CDU-Verhältnisse schon ganz cool ist”, wie es Jonas ausdrückt. “Bei Steinmeier hätte ich nicht gedacht, dass der so charismatisch ist”, sagt Oskar. Pierre sieht das ähnlich, auch wenn er es schade findet, dass die kleinen Parteien nicht vertreten waren. Max nervt, “dass die gar nix über Bildungspolitik gesagt haben”.

Jonas sagt: “Ich hab jetzt ein anderes Bild von Steinmeier, positiver als vorher. Das Duell hat er auf jeden Fall gewonnen.”

Nach einer kurzen Pause schiebt er nach: “Aber die Wahl wird er trotzdem verlieren.” Die drei anderen nicken zustimmend.

Die Piraten

Einstimmigkeit unter den Piraten: Die Moderatoren haben gewonnen! Steinmeier hat zumindest zu kämpfen versucht. Doch Merkel ist nie auf ihn losgegangen. Hauptstrategie: keine Angriffsfläche bieten. Deshalb kam keine Diskussion auf.

Die Familie

Wer ist Sieger? “Beide”, ruft Julia Henning spontan – schließlich habe es kaum Konfrontation gegeben. “Das plätscherte so vor sich hin.”

Das Duell Stoiber-Schröder war viel aufregender, findet sie.

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Liberale missionieren nicht http://www.wahlfahrt09.de/menschen/liberale-missonieren-nicht/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=liberale-missonieren-nicht http://www.wahlfahrt09.de/menschen/liberale-missonieren-nicht/#comments Sun, 13 Sep 2009 12:40:54 +0000 Lena Gürtler http://www.wahlfahrt09.de/?p=2684 FDP-Sanitäter3OSNABRÜCK. Simon Biederbeck (25) ist Wahlkämpfer an der Basis. Für seine Partei, die FDP, wirbt er in Osnabrück auf der Straße. Dabei kommt der Jura-Student mit vielen Menschen ins Gespräch – als FDP-Missionar sieht er sich trotzdem nicht.

„Wenn ich am Wahlkampfstand stehe, sind Jugendliche generell offener. Die fragen: ‚Für was steht ihr eigentlich?‘ Die Älteren sind festgelegter, haben schon fertige Meinungen über eine Partei. Denen, die sagen: ‚Mit Wählen erreicht man nichts‘, sage ich: Damit überlässt man anderen seine Stimme. Demokratie hat viele Vorteile. Selbst die Tatsache, dass man sagen kann: Ich kann damit nichts anfangen. In Nordkorea dürfte man das wohl kaum. Ich bin seit drei Jahren Mitglied in der FDP. Ein Bekannter an der Uni hat mich auf die Idee gebracht einzutreten. Ich finde gut, dass die FDP auf mehr Eigenverantwortung und auf weniger Staat setzt. Dass erzähle ich auch den Leuten, wenn ich Wahlkampf mache. Aber es macht keinen Sinn, jemanden umstimmen zu wollen, der komplett andere Grundüberzeugungen hat.  Wenn jemand etwas ganz anderes möchte, muss man das akzeptieren. Missionieren ist keine liberale Herangehensweise. Man muss wissen, dass man nicht jeden überzeugen kann. Das muss man als Demokrat abkönnen. Sicherlich gibt es Grenzen der Akzeptanz, zum Beispiel bei der NPD.

Natürlich kann ich nicht auf alle Detailfragen zum FDP-Programm antworten, auch wenn ich das Programm gelesen habe. Mein Fachbereich ist Innen- und Rechtspolitik. Am interessantesten finde ich, wenn die Leute, die an den Stand kommen, von ihrem Leben erzählen. Manche haben auch kuriose Anfragen. Zum Beispiel, ob wir noch etwas für die Zurückgewinnung Ostpreußens tun könnten. Ich will mich darüber nicht lustig machen, aber außenpolitisch ist das natürlich unakzeptabel. Manchmal wurde ich auch beschimpft. Aber ich nehme das nicht persönlich. Das ist eine Frage der Professionalität.

Auch ich stimme nicht in allen Punkten mit den Zielen der FDP überein. Beim Thema Sterbehilfe bin ich beispielsweise anderer Meinung. Aber im Wahlkampf beim Gespräch mit den Leuten auf der Straße vertrete ich trotzdem die FDP-Position.

Innerhalb der Partei kann man natürlich versuchen, auf das Programm Einfluss zu nehmen. Dafür muss man Anträge einreichen. Auf Kreisebene habe ich das auch schon gemacht. Dabei ging es um die Position von Rettungshelfern. Auf Bundesebene ist das natürlich viel schwieriger. Da muss man sehen, ob sich der Aufwand lohnt. Ich habe noch nie gehört, dass ein einzelnes Mitglied mit einem Antrag so weit nach oben gekommen ist. Trotzdem kann man mitbestimmen, durch seine eigenen Delegierten und durch das Internet. Grundsätzlich sollten sich die Parteien überlegen, ob sie mehr Beteiligung durch das Internet ermöglichen. Sonst haben die Leute das Gefühl, sie können nichts verändern. Die neuen Medien geben innerhalb einer Partei auch denen eine Chance, die sich nicht so gut artikulieren können.“

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TV-Duell: Erstwähler vermissen Klartext http://www.wahlfahrt09.de/menschen/tv-duell-erstwahler-vermissen-klartext/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=tv-duell-erstwahler-vermissen-klartext http://www.wahlfahrt09.de/menschen/tv-duell-erstwahler-vermissen-klartext/#comments Sun, 13 Sep 2009 11:30:32 +0000 C. Salewski http://www.wahlfahrt09.de/?p=2698 Osnabrueck_tvduell_jugendliche

Foto: Milos Djuric

OSNABRÜCK. Normalerwiese schauen sie gemeinsam Fußball. Doch im Fernsehen versuchen sich am Sonntagabend Kanzlerin und Kandidat an so etwas Ähnlichem wie Wahlkampf. In einem Wohnzimmer im Osnabrücker Westen sitzen vier gespannte Erstwähler. Und werden enttäuscht.

Von wegen politikverdrossen! Max ist 19 und durchaus politisch interessiert. Am 27. September wird er zum ersten Mal wählen. So wie seine drei Kumpels Jonas, Oskar und Pierre, die er ins Wohnzimmer seiner Eltern im Osnabrücker Westen eingeladen hat, um mal zu schauen, wie Kanzlerin und Kandidat sich im Fernsehen schlagen. Die vier Jungs machen es sich gemütlich. Füße hoch, ein Bier in die Hand. “Das ist ja wie beim Fußball-Gucken”, sagt Max. Aber erst muss der Sender bestimmt werden. Max zappt durch die Vorberichterstattung. Er entscheidet sich für ARD. “Der Unterschied in der Aufmachung ist voll krass. Bei den Privaten sieht das nach Entertainment aus.” Also öffentlich-rechtliche Solidität.

Die vier Abiturienten haben als Leistungskurs Politik gewählt. Sie wissen schon Einiges über die Themen und Farbenspiele, die in Berlin Konjunktur haben, auch wenn das politische Wissen noch ausbaufähig ist.

Vier Erstwähler, die langsam aber sicher ins politische Bewusstsein tappsen. Sie sind die perfekte Klientel. Jetzt können Merkel und Steinmeier ihnen beweisen, dass demokratischer Streit spannend und aufregend sein kann.

“Anpfiff!”, sagt Pierre. Steinmeier bei seinem ersten Statement. “Der hat echt eine Stimme wie Schröder”, sagt Max. “Aber er ist lange nicht so charismatisch”, wirft Jonas ein. Steinmeier redet von Anstand und Vernunft, die in die Wirtschaft zurückkehren müssten. Jonas beugt sich etwas zu Max rüber. “Das sind doch solche Phrasen.” Erste Enttäuschung.

“Ich finde, die antworten gar nicht, die hören gar nicht auf die Frage”, sagt Pierre. An den Politikersprech müssen sie sich noch gewöhnen. Und auch daran, dass Merkel und Steinmeier sich eher umarmen als sich zu duellieren.

Als Peter Kloeppel fragt, ob die Kontrahenten sich eigentlich duzen, lacht Jonas. “Voll die typische RTL-Frage”, sagt er. “Der will die halt mega-provozieren”, sagt Max. Pierre ergänzt: “Ja, die wollen die richtig gegeneinander aufhetzen.” Endlich die Chance auf ein bisschen Konfrontation im TV. Aber die Kanzlerin wirft ein Wattebällchen nach dem anderen. Kein Vergleich zu Stoiber gegen Schröder findet Max. Der Wahlkampf von 2002 war der erste, den er bewusst verfolgt hat, und die deftige demokratische Auseinandersetzung hat ihm Politik schmackhaft gemacht.

Dann, endlich, ein Thema, das Streit verspricht. Atomkraft. Steinmeier geht die Kanzlerin zum ersten Mal direkt an. Auch auf der Couch wird jetzt diskutiert. “Erneuerbare Energien müssen her”, sagt Max. Die beiden Politiker auf dem Bildschirm seien in dieser Frage aber nicht besonders glaubwürdig. “Das ist ein Thema von den Grünen”, sagt er.

Pierre ist anderer Meinung. “Die Grünen plakatieren Atomfässer und warnen vor schwarz-gelb, aber dann gehen sie in den Ländern mit der CDU in Koalitionen. Das ist Wählerverarschung, finde ich.”

Schon wird es wieder sperrig. Steinmeier spricht über Regulierung der Finanzmärkte. “Irgendwie finde ich den nicht authentisch”, sagt Jonas. Strengere Regeln seien nötig, sagt der Herausforderer. “Ja, und warum hat er das dann nicht gemacht?” will Max wissen. Jonas hat eine Analyse parat: “Steinmeier ist in einer ganz guten Situation. Er kann immer sagen, in der Großen Koalition geht das nicht”. Tatsächlich hat der Herausforderer Oberwasser. Die Kanzlerin steht etwas bedröppelt daneben. “Wie die guckt. Fehlt nur noch, dass die anfängt zu bellen”, sagt Pierre. “Die sagt eh nie, wie sie was machen will. Das ist einfach nur oberflächlich”, findet Jonas.

Merkel verliert im Osnabrücker Wohnzimmer noch weiter an Boden, als sie ihr Glaubensbekenntnis ablegt: “Wachstum schafft Arbeit.” Sie betont jede Silbe einzeln. Es ist ihre zentrale Botschaft und jeder soll sie verstehen. Die Kanzlerin will die Steuern senken. Steuersenkungen? “Das ist doch absolut unglaubwürdig”, findet Jonas. Das sagt auch Steinmeier.

Wieder ein Punktgewinn.

Das Duell plätschert so vor sich hin. Die Jungs wirken so, als würden sie ein Fußballspiel doch etwas spannender finden. Aber sie hören diszipliniert zu. Nach den Schlussworten ist Zeit für ein Fazit. Bei den vier Jungs ist die Sache klar: Beide waren irgendwie öde, aber Steinmeier hat sie überzeugt, auch wenn Merkel “für CDU-Verhältnisse schon ganz cool ist”, wie Jonas sagt. “Bei Steinmeier hätte ich nicht gedacht, dass der so charismatisch ist”, sagt Oskar. Pierre sieht das ähnlich, auch wenn er es schade findet, dass die kleinen Parteien nicht vertreten waren. Und Max meint: “Was nervt, ist, dass die gar nix über Bildungspolitik gesagt haben.” Stellvertretend für alle vier Erstwähler fasst Jonas zusammen: “Ich hab jetzt ein anderes Bild von Steinmeier, positiver als vorher. Das Duell hat er auf jeden Fall gewonnen.” Nach einer kurzen Pause schiebt er nach: “Aber die Wahl wird er trotzdem verlieren.” Die drei anderen nicken zustimmend.

siehe auch: Steinmerkel im TV

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„Man muss Hoffnungen in die Parteien setzen“ http://www.wahlfahrt09.de/menschen/%e2%80%9eman-muss-hoffnungen-in-die-parteien-setzen%e2%80%9c/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=%25e2%2580%259eman-muss-hoffnungen-in-die-parteien-setzen%25e2%2580%259c http://www.wahlfahrt09.de/menschen/%e2%80%9eman-muss-hoffnungen-in-die-parteien-setzen%e2%80%9c/#comments Sat, 12 Sep 2009 19:56:37 +0000 Lena Brochhagen http://www.wahlfahrt09.de/?p=2641 rita kalmey_2

Foto: Lena Brochhagen

OSNABRÜCK. Früher Samstagabend, die Fußgängerzone ist voll. Passanten müssen Slalom zwischen Biertischen und Pappkartons laufen, denn die Osnabrücker bereiten den Nachtflohmarkt vor, der hier zwei Mal im Jahr stattfindet. Auch Rita Kalmey wird mit einer Freundin alte Dinge verkaufen – vorher diskutiert sie mit wahlfahrt09.de über Politik.

“Ich heiße Rita Kalmey und bin 60 Jahre alt. Was ich mir von der Politik wünsche? Ich wünsche mir, dass der Krieg in Afghanistan aufhört. Und dass wir auch an anderen Orten keine Kriege mehr haben. Das ist vielleicht unrealistisch, aber das wünsche ich mir. Wie der Abzug aus Afghanistan funktionieren soll, kann ich spontan auch nicht genau sagen – am liebsten wäre mir, wir wären gar nicht da. Es ändert sich ja doch nichts, die Leute sterben und die Lage bleibt schlecht.

Ein weiteres Thema ist der Umweltschutz. Es bringt doch nichts, mit der Umweltzone alte Autos aus der Stadt zu verbannen, wenn gleichzeitig die Industrie weiter Abgase in die Luft pufft – mit der Umweltzone schadet man nur den Leuten, die sich kein neues Auto leisten können.

Die Parteien sollten außerdem mehr für die Sicherung der Arbeitsplätze tun, gerade für Ältere. Die Leute sollten nicht schon mit 50 zum alten Eisen gehören, sondern wie vorgesehen bis 65 arbeiten. Dazu sind bestimmt viele Ältere auch bereit, Verantwortung abzugeben und etwas weniger Lohn zu bekommen – so hätte man einen Übergang zur Rente, die Älteren wären nicht gleich weg vom Fenster und Jüngere könnten nachrücken

Von der großen Koalition bin ich ein bisschen enttäuscht. Zwar hat uns Angela Merkel gut vertreten, auch im Ausland. Aber die Koalition von CDU und SPD hat nicht so gut funktioniert, das war für mich Stillstand. Wählen gehe ich aber trotzdem, auf jeden Fall. Man muss Hoffnungen in die Parteien setzen, gar nicht wählen ist auch keine Lösung.

Ich wähle wahrscheinlich die SPD – da ist noch eine Treue aus der Kindheit, die Familie hat immer SPD gewählt, das prägt mich. Außerdem fühle ich mich bei der SPD aufgehoben – die tun mehr zum Erhalt der Arbeitsplätze, etwa beim Kündigungsschutz. Ich muss aber auch die anderen Parteien akzeptieren, etwa die Linke. Nur die Rechtsradikalen, die kann ich nicht akzeptieren.“

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Herr Grün und die Roten http://www.wahlfahrt09.de/menschen/herr-grun-und-die-roten/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=herr-grun-und-die-roten http://www.wahlfahrt09.de/menschen/herr-grun-und-die-roten/#comments Fri, 11 Sep 2009 13:54:26 +0000 Jan Patjens http://www.wahlfahrt09.de/?p=3043 Duisburg_Rainer_Gruen

Foto: Milos Djuric

DUISBURG.Aus Frust über die großen Parteien haben Deutsch-Türken in Duisburg einen eigenen Wählerverein gegründet. Sie wollen Menschen aus Zuwandererfamilien für die Politik gewinnen – und stellen fest, das ist nicht immer einfach.

Richtige Wahlkampfstimmung will nicht aufkommen an diesem Septembermorgen in der Friedrich-Engels-Straße in Marxloh. Schräg gegenüber der Marktklause haben ein paar ältere Männer von der SPD einen Infostand aufgebaut, es gibt Würstchen und rot-weiße Kugelschreiber. Der Bundestagsabgeordnete Johannes Pflug kämpft im Wahlkreis Duisburg II um ein Direktmandat. Doch das Interesse der Passanten hält sich in Grenzen. Und die CDU ist gar nicht erst gekommen, sehr zum Ärger der Genossen.

Marxloh, ein Stadtteil im Norden Duisburgs. Bundesweit bekannt wegen seiner Moschee, der größten in Deutschland, vor knapp einem Jahr eröffnet. Jeder Dritte der rund 18000 Einwohner stammt aus einer Migrantenfamilie. Man hat den Stadtteil mit Berlin-Neukölln verglichen und als Ghetto bezeichnet, als ein bedürftiges, von Arbeitslosigkeit und politischer Apathie geprägtes Problemviertel. Marxloh wurde zur „Chiffre für eine deutsche Banlieu“.

Marxloh ist mehr als eine deutsche Banlieu

Doch die Wirklichkeit ist vielschichtig, anders als das Klischee. In der Weseler-Straße, der Hauptstraße von Marxloh, gibt es sie zwar, die schmutzigen Gründerzeitfassaden, Wettbüros und Spielhallen, die Döner-Imbisse und dunklen Kneipen mit aschgrauen Gardinen. Aber es gibt hier eben auch prächtige Geschäfte für Brautmoden, Juweliere und Schuhläden, Ärzte und Apotheken mit türkischen Namen. Sie stehen für den neuen Mittelstand im Viertel.

Und noch etwas passt nicht in das Bild vom Problembezirk: Die Merkez-Moschee in Marxloh wurde ganz ohne Streit geplant und gebaut. Anders als in Köln, Frankfurt oder Berlin gab es hier keine Proteste der Anwohner und keine grundsätzlichen Bedenken. Vom „Wunder von Marxloh“ war deshalb die Rede.

Ein Wunder war es wohl nicht, eher ein Beispiel für Integration: Im Vorstand der Moschee sitzen Angehörige einer jungen Generation, pragmatische Deutsch-Türken, die im Ruhrgebiet aufgewachsen und beruflich erfolgreich sind. Den Bau der Moschee haben vor allem Frauen im Alter von 30 bis 40 Jahren vorangebracht. Sie setzten sich für einen Beirat ein, dem Vertreter christlicher Kirchen, Parteien, Gewerkschaften und Nachbarn angehörten. Und für ein Begegnungszentrum, das allen offen steht.

Am Infostand der SPD kann man an diesem Morgen indes auch beobachten, dass es nicht immer so gut klappt mit dem Dialog zwischen Deutschen und Migranten. Und das liegt nicht nur daran, dass Berlin und der Bundestag weit weg sind. Auch bei den Kommunalwahlen Ende August hat in Marxloh gerade mal jeder vierte Wahlberechtigte seine Stimme abgegeben, Negativrekord in Duisburg. Oft ist im Stadtteil der Satz zu hören, die Migranten interessierten sich doch eh nicht für Politik.

Migranten für Politik begeistern

Schon wieder ein Klischee? Rainer Grün, 41, ist einer, der es wissen muss. Er ist Vorsitzender der „Duisburger Alternativen Liste“ (DAL), einer Wählervereinigung, die Migranten für die Politik gewinnen und ihre Interessen in der Kommunalpolitik besser zur Geltung bringen will. Sein Vater stammt aus der Türkei, seine Mutter aus Deutschland. Grün arbeitet als Wachmann und kommt gerade von der Nachtschicht. Es ist kurz nach zehn, Zeit für einen Feierabend-Tee in einem Döner-Grill an der Weseler Straße – und für ein Gespräch über Politik.

Im Wahlkampf habe er gemerkt, wie schwierig es sei, Migranten für Politik zu begeistern, sagt Grün: „Hier haben viele verinnerlicht, dass sie ‚Ausländer’ sind, sie fühlen sich nicht als Bürger.“ Außerdem trauten die meisten den Parteien nicht mehr zu, die Probleme zu lösen. Nach wie vor würden türkischstämmige Menschen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt diskriminiert, es fehle an Unterstützung für Vereine und an Angeboten für Jugendliche. „Die Resignation ist riesengroß, da ist es nicht leicht, die Leute zum Wählen zu bewegen.“

Als Spitzenkandidat der DAL hat Rainer Grün das selbst zu spüren bekommen. Nur 1,1 Prozent der Stimmen hat die Wählervereinigung bei den Kommunalwahlen in Duisburg gewonnen – das reicht immerhin für ein Mandat im Stadtrat. So wird Grün nun erstmals in das Gremium einziehen, er könnte also zufrieden sein. Doch die Enttäuschung über das schlechte Abschneiden seiner Liste überwiegt.

Trotz urdeutschem Namen auf hinterem Listenplatz

Es ist nicht die erste Enttäuschung für Grün. Als er im Jahr 2004 gemeinsam mit zwanzig anderen Duisburgern die DAL gründete, trieb ihn vor allem der Frust über die Parteien an. Grün war viele Jahre SPD-Mitglied, ein „aktiver Funktionär“, wie er sagt. Die Genossen an der Basis hätten ihn allerdings nicht recht zum Zug kommen lassen: „Ich durfte zwar Pöstchen bekleiden und Plakate kleben, wenn es aber um politische Ämter ging, war für mich Schluss.“ Die Altgedienten hätten nichts von ihrer Macht abgeben wollen, er sei nicht nach Leistung, sondern nach seiner Herkunft beurteilt worden. „Trotz meines urdeutschen Namens“, sagt Rainer Grün.

Ähnlich erging es anderen Gründungsmitgliedern der DAL, zum Beispiel Gürsel Dogan: Er war lange in der CDU, kehrte der Partei aber den Rücken, als sie ihn vor der Ratswahl 2004 auf einen aussichtslosen Listenplatz setzen wollte. „Wir hatten keine Chance, und das ausgerechnet in Duisburg“, sagt Grün. Die Parteien trügen selbst dazu bei, dass Migranten sich von ihnen abwendeten.

Dabei müssten die Parteien eigentlich großes Interesse an Leuten wie Rainer Grün haben. Rund 700.000 türkischstämmige Wähler gibt es in Deutschland, fast jeder Fünfte Einwohner ist zugewandert oder ein Kind oder Enkel von Migranten. In manchen westdeutschen Großstädten wird in einigen Jahren die Hälfte der Jungwähler aus Migrantenfamilien stammen.

Integration ist Randthema im Wahlkampf

Kein Wunder also, dass die Parteien um Zuwanderer werben und sie offiziell willkommen heißen. Spitzenpolitiker wie Cem Özdemir und Lale Akgün, Bülent Arslan und Hakki Keskin sollen Migranten ansprechen. Die Förderung von Integration steht in allen Parteiprogrammen – immerhin ist das Thema in der Bildungs-, Familien-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik von entscheidender Bedeutung.

Doch im Bundestagswahlkampf spielt Integration kaum eine Rolle. Für Schlagzeilen sorgte allein Jürgen Rüttgers, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, als er bei einem Wahlkampfauftritt in Duisburg rumänische Arbeiter beschimpfte: Die kämen nicht pünktlich zur Schicht und wüssten nicht, was sie tun.

Und an der Parteibasis stoßen Migranten oft auf Ablehnung, sie haben es schwer, attraktive Listenplätze zu ergattern. Im Bundestag sitzen derzeit fünf türkischstämmige Abgeordnete, zur Zeit der rot-grünen Koalition waren es sogar nur zwei. In diesem Jahr kandidieren zwar mehr als zwei Dutzend Deutsch-Türken für den Bundestag, die meisten von ihnen rangieren jedoch auf hinteren Listenplätzen und haben kaum Aussicht auf ein Mandat.

Ein Drittel Migranten, ein Sechstel migrantische Abgeordnete

In Duisburg sieht es ganz ähnlich aus. Ein Drittel der knapp 500.000 Einwohner hat hier einen so genannten Migrationshintergrund, im Stadtrat sind derzeit jedoch nur fünf von 74 Abgeordneten türkischer Herkunft. Einer von ihnen ist Gürsel Dogan, jener Kommunalpolitiker, der die CDU 2004 verlassen hatte und als DAL-Kandidat ein Mandat gewann. Er schloss sich bald der CDU-Ratsfraktion an und trat seiner alten Partei wieder bei. In seinem Wahlkreis Duisburg-Hochfeld ist er vor zwei Wochen direkt gewählt worden.

Eine kleine Erfolgsgeschichte, keine Frage. Dem neuen Stadtrat werden nun immerhin acht Abgeordnete aus Zuwandererfamilien angehören. Und zur Bundestagswahl tritt in Duisburg wenigstens ein Direktkandidat türkischer Herkunft an: Hüseyin Aydin von den „Linken“. „Die Situation hat sich etwas verbessert“, sagt Rainer Grün, „einige Parteimitglieder haben ihre Lektion gelernt.“ Das sei auch ein Verdienst der DAL.

Im Stadtrat will Grün, der ehemalige Sozialdemokrat, nun den CDU-Oberbürgermeister unterstützen. „Wir haben uns zwar aus Protest gegründet, wollen aber konstruktiv Politik machen“, sagt er. Und registriert mit Genugtuung, dass die Ratsfraktionen jetzt um seine Stimme werben.

Schnellboot der Migration in die Politik

Dennoch wollen Grün und die DAL weiter gegen die Politik- und Parteienverdrossenheit vieler Migranten kämpfen. „Keine Integration ohne Mitbestimmung“ lautet einer ihrer Slogans. „Wir wollen Leute aus der Basis ins Rathaus schicken, wir sind das Schnellboot der Migration in der großen Politik“, sagt Grün und klingt fast schon wie ein Berufspolitiker. Mittlerweile hat die Wählervereinigung 25 Mitglieder, darunter sind viele Frauen. Fast alle sind Deutsch-Türken, obwohl man keine reine Migrantenliste sein will und auch ein deutscher Arzt dabei ist. „Dal“ ist das türkische Wort für Ast. „Wir wachsen“, sagt Grün, „und man kann sich an uns festhalten.“

Fragt man Abdullah Küҫük, warum er sich für die DAL engagiert, dann sagt er: „Ich bin Deutscher, gelte hier aber immer noch als ‚Ausländer’. Das will ich mal abschaffen.“ Küҫük, 36, ist in Duisburg geboren und in Marxloh aufgewachsen. Er hat bei Thyssen eine Ausbildung zum Verfahrenstechniker gemacht und arbeitet heute im Stahlwerk Hamborn. „Viele meiner Freunde haben studiert, einige sind Ärzte oder Geschäftsleute geworden“, sagt er. „Wir stehen für gelungene Integration, die Parteien verwenden nur das Wort.“ Auch in der Bundespolitik dienten ihnen türkischstämmige Abgeordnete oft nur als Aushängeschild.

Abdullah Küҫük hat bei den Kommunalwahlen in Alt-Hamborn kandidiert, seine Frau Ebru, 28, trat in Marxloh an. Ein Mandat für die Bezirksvertretung haben beide nicht gewonnen. Doch das sei auch gar nicht so wichtig, sagt er. Es gehe ihm vor allem darum, dass Menschen türkischer Herkunft überhaupt wahrgenommen würden, auf allen Ebenen der Politik. „Geh’ zur Wahl!“, das sei der wichtigste Appell der DAL.

Bockwurst statt Baklava

In der Friedrich-Engels-Straße haben die Genossen ihren Stand inzwischen wieder abgebaut. Die SPD habe überhaupt keine Schwierigkeiten, mit Migranten ins Gespräch zu kommen, sagt einer. „Wir haben auch selbst welche dabei, das entwickelt sich schon.“ Sicher ist, dass die großen Parteien es sich immer weniger leisten können, die Gruppe der Migranten zu vernachlässigen. Und vielleicht hilft es ja schon ein bisschen, wenn der SPD-Ortsverein im nächsten Bundestagswahlkampf nicht nur mit Bockwurst, sondern auch mit Baklava auf Wählerfang geht.

Rainer Grün jedoch kann es sich vorerst nicht vorstellen, zu den Roten zurückzukehren.

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„Ich fühle mich nicht als Deutscher“ http://www.wahlfahrt09.de/menschen/%e2%80%9eich-fuhle-mich-nicht-als-deutscher%e2%80%9c/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=%25e2%2580%259eich-fuhle-mich-nicht-als-deutscher%25e2%2580%259c http://www.wahlfahrt09.de/menschen/%e2%80%9eich-fuhle-mich-nicht-als-deutscher%e2%80%9c/#comments Thu, 10 Sep 2009 11:52:07 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=2385 Koeln_Murat_M

Foto: Anna Jockisch

KÖLN. SPD-Würfel auf dem Kölner Heumarkt. Jusos stehen in roten T-Shirts hinter dem Tresen, an einem Touchscreen können sich Interessierte ihr persönliches Wahlprogramm ausdrucken. Auch Murat M. schaut neugierig auf die SPD-Flyer und steckt sich noch einen Kugelschreiber in die Tasche. Er würde wählen – darf aber nicht.

„Ich bin der Murat, bin 23 Jahre alt, komm aus Köln und bin auszubildender Hotelkaufmann. Dadurch, dass ich türkischer Staatsbürger bin, fällt das Recht zu Wählen für mich weg. Obwohl ich hier in Deutschland geboren und aufgewachsen bin. Ich find das eigentlich nicht sehr toll, weil ich auch die deutsche Schulbildung genossen habe und auch meine Zukunft hier gründen werde. Und wenn ich nicht die Chance habe, für meine Zukunft hier abzustimmen, dann ist das schade.

Es gab ja vor 1999 die Möglichkeit, die doppelte Staatsbürgerschaft anzunehmen, aber die ist ja auch schon wieder weg. Ich will auch gerne die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen, allerdings warte ich damit noch. Es ist einfach sehr schwer, man muss warten, Papierkram machen, das dauert. Außerdem, wenn ich mich jetzt bewerben würde, dann müsste ich Wehrdienst machen und das seh ich dann auch nicht ein.

Ich bin hier in Deutschland geboren und aufgewachsen, aber ich fühl mich nicht deutsch, das muss ich ehrlich sagen. Da könnte man auch zig andere junge Leute meiner Generation und Nationalität fragen, die würden das genauso sehen.

In der Integrationspolitik macht Deutschland einiges falsch. Wenn ich mir vorstelle, dass Männer und Frauen schon über zehn, zwanzig Jahre in Deutschland sind, ohne annähernd fließend deutsch zu sprechen. Die Leute sind damals nicht mit dem Gedanken gekommen, dass sie hier auch bleiben, ihre Kinder hier großziehen und ihre Existenz hier gründen. Die wollten Geld verdienen und dann zurückgehen. Mein Vater ist 70 Jahre und sieht das heute immer noch so. Diesen Gedanken bei den Leuten aufzulösen und damit die Integration zu fördern, das hat Deutschland nicht geschafft.

Ich denke, da müsste man von Null anfangen: Jeder der in Deutschland aufgewachsen ist, darf Deutscher werden. Jeder, der ein Leben hier gegründet hat, darf Deutscher werden. Nicht so, wie es jetzt ist: Wenn Du Deutscher werden willst, musst du ne deutsche Frau heiraten und mit der drei Jahre verheiratet sein. Oder auch der Deutschkurs, dass man da die Sprache und Geschichte des Landes lernen soll, um Deutscher zu werden… Zum Deutschsein gehört viel mehr dazu als Vokabeln lernen. Es geht ja nicht um die Geschichte und die Sprache, sondern vor allem um das Leben hier. Ich denke, noch nicht mal alle Deutschen können die Fragen in diesen Tests beantworten. Deswegen kommt es mir so vor, als will man die Sache damit einfach nur schwieriger machen.

Die Sprache ist eben nur ein Aspekt. Der andere Aspekt ist, ob man die Leuten wirklich integrieren möchte. Ich habe meinen Vater gefragt: Hey, wieso kannst du kein Deutsch? Er meinte zu mir: Hab ich jemals mit einem Deutschen zu tun? Er ist seit über 40 Jahren hier. Die Deutschen gehen eben auch nicht direkt auf die Menschen zu.

Ich hab auch darunter gelitten. Wenn ich im Deutsch-Test eine Eins oder Zwei geschrieben habe, dann hab ich immer gehört: Ey, wieso hat der ne Eins geschrieben und ich nicht? Ja, wieso denn nicht?! Das hört sich witzig an, aber daran zeigt sich das eben.”

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